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Schulprobleme: Wenn der Einstieg in die Welt der Zahlen bei Kindern im Grundschulalter nicht klappen will (Rechenschwäche/Dyskalkulie)

U10 / U11-Vorsorgeuntersuchungen – Symptomfragebogen bei Hinweis auf eine Rechenproblematik

„Mein Kind tut sich mit dem Rechnen furchtbar schwer. Hat es vielleicht eine Rechenschwäche?“ Mit dieser und ähnlichen Fragen sind Kinder- und Jugendärzte häufig in der täglichen Praxis befasst. Mit der Einführung der Vorsorgeuntersuchung U10 für sieben- bis achtjährige bzw. der U11 für neun- bis zehnjährige Kinder gehört diese Fragestellung seit einiger Zeit nun auch offiziell in den Fragenkanon von Kinder- und Jugendärzten.

Rund fünf Prozent aller Grundschulkinder gelten nach neuesten Studien als massiv rechenschwach. Sie sind trotz schulischer Fördermaßnahmen und zeitaufwendigem Üben nicht in der Lage einfache mathematische Kenntnisse vorzuhalten. Das führt bei vielen Kindern nicht nur zu Problemen beim Rechnen in der Schule, sondern auch zu psychosomatischen Beschwerden.
Die Einschulung ist ein wichtiger Meilenstein im Leben eines Kindes und eine große Herausforderung. Nicht allen Kindern gelingt der Schulstart. Vor allem dann nicht, wenn der Einstieg in die Welt der Zahlen nicht klappen will. Rechenschwache Kinder weisen große Probleme im mathematischen Grundlagenbereich auf, wie beim Mengenverständnis, dem Zahlbegriff, den Grundrechenarten wie plus und minus und in der Folge daraus beim Verständnis des dezimalen Stellenwertsystems. Ein frühzeitiges Erkennen von elementaren Leistungsschwierigkeiten beim Rechnen und eine gezielte Förderung sind wesentlich, um rechtzeitig der Rechen-Problematik und deren Auswirkungen zu begegnen.

Bei der U10 stehen mögliche schulische Leistungsschwächen, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen und AD(H)S im Focus der Untersuchung. Kinder- und Jugendärzte schauen, ob eine Lese- und Rechtschreibschwäche oder eine Rechenschwäche vorliegen könnte, um große Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben und Auffälligkeiten beim Rechnen im Ansatz zu erkennen und weitere Schritte einzuleiten.

Sollte eine Teilleistungsschwäche nicht frühzeitig erkannt werden, dann könnten als Folge daraus Ängste und andere psychosomatische Auffälligkeiten beim Kind auftreten. Schulleistungsprobleme führen häufig zu Beschwerden wie Bauchschmerzen, Schlaflosigkeit oder Übelkeit, aber auch zu Symptomen wie Nägelkauen und Zurückgezogenheit. Deshalb ist es wichtig, dass diese belastenden Symptome und die Auffälligkeiten im Sinne einer Rechenproblematik von den Eltern festgehalten und mit der behandelnden pädiatrischen Praxis  besprochen werden.

„Auch wenn die Dyskalkulie als sogenannte Teilleistungsstörung nicht als Krankheit gewertet wird, verhindert eine nicht diagnostizierte schwere Rechenstörung oftmals eine gesunde kindliche Entwicklung auf allen Ebenen bis ins Erwachsenenalter hinein. Solche verpassten Lebenschancen machen Körper und Seele krank. Die U10 und U11 bieten dem Kinder- und Jugendarzt durch gezielte Befragung die Möglichkeit, Hinweise auf das mögliche Vorliegen einer Dyskalkulie zu finden und eine weitergehende Diagnostik durchzuführen bzw. zu veranlassen“, erklärt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ.

Was ist Rechenschwäche?

Rechenschwache Kinder haben keine oder nicht ausreichende Vorstellungen von Mengen und Anzahlen entwickelt und bleiben dadurch lange beim Abzählen haften, während andere Kinder schon kleine Aufgaben wie [6 + 3 =] oder [8 - 7 =] automatisiert zur Lösung bringen. Wenn abgezählt wird, geschieht dies in der Regel mit Hilfe der Finger. Reichen diese nicht aus, stellen sie sich häufig „Luftfinger“ vor. Solange Kinder Rechenaufgaben zählend lösen, egal ob offen oder heimlich, ist kein Grundgerüst für das Erlernen von „Plus und Minus“ gelegt.

„Selbst der in der Schule angebotene Förderunterricht bringt oft nicht die erwarteten Fortschritte. Ein Kind, das im Mathematikunterricht ständig ein mangelhaft oder ungenügend schreibt, reagiert zunehmend mit Unlust und Missmut. Verständlich ist, wenn das Kind versucht alles zu vermeiden, was mit dem unliebsamen Rechnen zu tun hat. Psychosomatische Probleme können die Folge sein und sich verfestigen“, sagt Alexander von Schwerin, Leiter des Mathematischen Instituts zur Behandlung der Rechenschwäche in München und Autor von verschiedenen Publikationen.

Ursachen einer Rechenschwäche

Die Gründe können vielfältig sein, wie beispielsweise eine allgemeine Entwicklungsverzögerung, eine unangemessene Beschulung durch zu heterogene und zu volle Klassen. Bei einer Anhäufung von Auffälligkeiten beim Kind geht es darum, mit einer förderdiagnostischen Untersuchung festzustellen, ob die Vorläuferfertigkeiten für das Rechnen entwickelt sind, wie der mathematische Lernstand des Kindes aussieht bzw. was hat der junge Schüler nicht und was hat er falsch abgebildet? Anschließend sind die festgestellten Defizite Schritt für Schritt aufzuarbeiten. Es gibt keinen Nachteilsausgleich dafür, der später einen jungen Erwachsenen davor schützt, wenn er sein Wechselgeld nicht kontrollieren kann.

In kleinen Lernschritten die mathematischen Grundlagen erarbeiten

Eine integrative Lerntherapie setzt bei den Problemen des jeweiligen Kindes an. Integrative Dyskalkulie-Therapie bedeutet, die mathematischen Fehlurteile in dem Spannungsbogen „Schule – Elternhaus – verzweifeltes Kind“ aufzulösen und so weitere Lernschritte und Lernerfolge für das Kind möglich zu machen. Dabei werden die Problematiken des Kindes ganz offensiv ins Blickfeld gerückt. Hier gilt es zunächst kleinschrittig die Grundlagen beim Zahlaufbau der Zahlen bis 10 zu erschließen. Ganz wichtig ist es, dem Kind bzw. dem Jugendlichen wieder die Lust an Schule zu vermitteln, damit die belastenden Faktoren reduziert werden und sich ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln kann.

Vorsorge für sieben- bis achtjährige U10 und neun- bis zehnjährige Kinder U11

Die U10 und U11 schließen die Lücke zwischen der U9 für Fünfjährige und der J1 für Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren. Seit geraumer Zeit werden die U10 (7. bis 8. Lebensjahr) und U11 (9. bis 10. Lebensjahr) ab dem Schulalter als erste Vorsorgeuntersuchungen von einer großen Zahl an Krankenkassen finanziert. Anhand eines Fragebogens erhält der Arzt wichtige Informationen von den Eltern und kann damit gezielt auf mögliche Probleme des Kindes eingehen. In diesem Zusammenhang prüft die pädiatrische Praxis auch das Vorliegen möglicher Teilleistungsstörungen, wie der Lese-Rechtschreibschwäche, der Rechenschwäche oder anderer körperlicher Entwicklungsstörungen. Diese Vorsorgeuntersuchungen sind freiwillig.

Neu: Symptomfragebogen bei Hinweis auf eine Rechenproblematik für Kinder- und Jugendarztpraxen

Der Arbeitskreis des Zentrums für angewandte Lernforschung gemeinnützige GmbH hat in Zusammenarbeit mit dem Mathematischen Institut zur Behandlung der Rechenschwäche in München einen Symptomfragebogen – bei Hinweisen auf eine Rechenproblematik beim Kind – entwickelt. Die in dem Fragebogen aufgeführten Symptome stellen eine Auswahl von Auffälligkeiten dar, die aufgrund von langjährigen Erfahrungen mit rechenschwachen Kindern und Jugendlichen häufig zu beobachten sind. Dieser Symptomfragebogen ist weder ein standardisiertes Diagnostikum, noch ersetzt er eine förderdiagnostische Untersuchung, welche Auskunft über die spezifischen Denkweisen und Lösungsstrategien des Kindes ermöglicht. Er ist ebenfalls nicht dazu geeignet, eine allgemeine Lernschwäche anzunehmen oder auszuschließen. Der Fragebogen ist vielmehr eine Zusammenstellung von typischen Symptomen und Merkmalen elementarer Lernschwierigkeiten im Grundlagenbereich der Mathematik. Die aufgeführten Fragen und Aufgabenstellungen sollen dabei helfen, Hinweise auf eine „Rechenschwäche“ auch als solche zu erkennen.
Eine Entscheidung, ob Eltern den gesamten Bogen mit insgesamt 40 Fragen aus den Bereichen - mathematischer Bereich, Lernverhalten, sowie Alltagsverhalten und psychosomatische Auffälligkeiten – ausfüllen sollten, kann häufig schon nach dem Beantworten der ersten 5 mathematischen Items gefällt werden. Wenn ein Kind in der 2. Klasse noch weitgehend auf zählende Verfahren angewiesen ist, sollte genauer geschaut werden. Die Rückgabe des ausgefüllten Bogens erfolgt an die behandelnde pädiatrische Praxis, die Weiteres auf dieser Grundlage mit den Eltern besprechen kann.
 
Wie kommt der Symptomfragebogen in die Praxen von Kinder- und Jugendärzten?

  1. Als Kopiervorlage bzw. als fertig gedruckte und geheftete Exemplare gegen Gebühr über: www.os-rechenschwaeche-shop.de
  2. Beim Store des BVKJS: www.bvkj-shop.de/infomaterial/broschueren.html oder bei den beteiligten Einrichtungen
  3. Als PDF-Datei unentgeltlich für die „papierlose Praxis“ unter fragebogen@noSpam.arbeitskreis-lernforschung.de

Warum ein Symptomfragebogen?

Die auf das Mathematik-Lernen spezialisierten Einrichtungen aus Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern engagieren sich für die Lösung mathematischer Probleme von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit anhaltenden Lernschwierigkeiten im Grundlagenbereich der Mathematik. Der Arbeitskreis Lernforschung hat aus diesem Grunde diesen Symptomfragebogen für eine effiziente Vor-Diagnostik entwickelt.

Ein erster Schritt, dem Kind aus seinen Rechen-Problemen herauszuhelfen, bedeutet zu ermitteln, welche Defizite im Grundlagenbereich der Zahlen, Stellenwerte und Rechenoperationen vorhanden sind. Es soll mit den umfangreichen Items ein Augenmerk auf folgende Fragestellungen gerichtet werden:

  • Welche mathematischen Stoffgebiete haben Kinder nicht verstanden, wenn sie sich beispielsweise vom zählenden Rechnen nicht lösen können?
  • Welche Auswirkungen hat dies für den Alltag?
  • Welche psychosomatischen Auswirkungen können sich einstellen, wenn ein Kind in diesem wichtigen Hauptfach versagt?

„Wenn festgehalten wird - mit Hilfe dieses Fragebogens - in welchen Bereichen die Defizite und Missverständnisse beim Rechnen lernen vorliegen, kann das der Auftakt sein, diese Schritt für Schritt aufzuarbeiten. Rechnen kann man lernen! auch wenn ein zweiter Anlauf von Eltern und Kind hierfür nicht immer einfach ist, weil zusätzlich psychische Probleme mit aufgearbeitet werden müssen“, sagt Dr. Burkhard Lawrenz, Sprecher im Ausschuss Prävention und Frühtherapie des BVKJ. „Der vorliegende Symptomfragebogen kann nicht zur Diagnose einer Dyskalkulie dienen. Er kann jedoch in pädiatrischen Praxen benutzt werden, um unter den Kindern, bei denen Probleme beim Rechnen oder im Mathematik-Unterricht auftreten und / oder bei denen Eltern, Lehrer oder andere Personen den Verdacht auf eine Dyskalkulie / Rechenschwäche äußern, ein Screening durchzuführen. Der Bogen hilft die Frage zu beantworten, ob eine weitere Diagnostik im Hinblick auf eine mögliche Dyskalkulie notwendig ist. Dies ist ähnlich, wie bei den Esser-Fragebögen, die helfen vor zu sortieren. Der BVKJ hält den Fragebogen für ein mögliches Instrument zum Einsatz in der Praxis. Dies ist keine Empfehlung im engeren Sinne. Ob die weitere Diagnostik und Therapieplanung dann eher in einem SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) oder in einer pädagogischen Einrichtung erfolgen soll, muss sich nach den regionalen Gegebenheiten und Kapazitäten richten", führt Lawrenz weiter aus.

Die überregionalen Arbeitsschwerpunkte des AK Lernforschung:

Zahlen, Fakten und Informationen: In den zehn Einrichtungen des Arbeitskreises am Zentrum für angewandte Lernforschung werden aktuell 1300 Kinder, Jugendliche und Erwachsene therapiert. Bisher wurden ca. 10.000 therapeutische Interventionen erfolgreich durchgeführt. Das Zentrum für angewandte Lernforschung ist eine gemeinnützige GmbH. Die Ziele des Arbeitskreises Lernforschung - Zusammenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, Forschung und Qualitätsförderung, umfassende Beratung und genaue Diagnostik, fundierte und erfolgreiche Therapie - sind richtungweisend für die Qualität der Versorgung rechenschwacher Menschen in Deutschland.

Für weitere Informationen für Eltern, Schulen, Arztpraxen und Beratungsstellen stehen wir gerne zur Verfügung. Bei Anfragen zu Fortbildungen für Erzieher/Innen, Lehrer, Ärzte im Rahmen von Qualitätszirkeln erreichen Sie uns unter: www.arbeitskreis-lernforschung.de bzw. www.rechenschwaeche.de.

Hans-Joachim Lukow ist Leiter des Zentrums für angewandte Lernforschung gemeinnützige GmbH.
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Quelle und Erstveröffentlichung: Lukow, Hans Joachim (2016) Kinder- und Jugendarzt 47. Jg. (2016) Nr. 7, S. 483 – 486