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ADHS - Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung

Therapie

Die charakteristischen Verhaltensauffälligkeiten einer ADHS und mögliche begleitende Störungen sind dank verschiedener Therapiemöglichkeiten vielfach gut behandelbar. Abhängig vom Erscheinungsbild, dem Schweregrad der Erkrankung, dem Alter des Kindes und Art der Begleitstörungen kommen für die Therapie psychosoziale, pädagogische, psychotherapeutische und medikamentöse Maßnahmen in Frage. Die besten Erfolge erzielt meist ein Gesamtbehandlungssystem, ein so genanntes multimodales Konzept, wobei unterschiedliche Therapiemaßnahmen als Bausteine eingesetzt werden.

Entscheidend ist es, die Behandlung ganz individuell anzupassen und außer der Familie auch das nähere soziale Umfeld (Erzieher/Lehrer, Verwandte und Freunde) – soweit wie erforderlich – aufzuklären, um sie in pädagogische Maßnahmen einzubeziehen. Familie und Schule können dem Kind und Jugendlichen entscheidend helfen, das Leben besser zu meistern und vorhandene Fähigkeiten zu fördern. Wichtig ist es für die Betroffenen, Selbstständigkeit zu entwickeln und auf die Gefahren des Lebens vorbereitet zu sein. Als erklärtes ADHS-Therapieziel steht an erster Stelle für alle Beteiligten eine Verbesserung der Lebensqualität, denn die Erkrankung ist zwar nicht heilbar, aber die Auswirkungen der Störung durch Therapie erheblich zu verringern.

Im Verlauf der Therapie sollten vom Arzt regelmäßig folgende Punkte beurteilt werden, um den Behandlungserfolg abschätzen und gegebenenfalls die Therapiemaßnahmen neu anpassen zu können:

  • Entwicklung der Kernsymptome Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität;
  • Schulische Leistung und Verhalten in der Schule;
  • Emotionale Entwicklung;
  • Beziehung zu Gleichaltrigen;
  • Freizeitaktivitäten;
  • Familiäre Beziehung;
  • Kontrolle der Medikation.

ADHS - unbedingt behandeln lassen

ADHS ist keine Krankheit, die so einfach wieder verschwindet. Bei 10% der ADHS-Kinder bleibt das Krankheitsbild später sogar vollständig erhalten. Weitere 35% zeigen Symptome, die sie im Alltag deutlich einschränken. Ohne angemessene und konsequente Behandlung besteht das Risiko lebenslanger Konsequenzen: Keinen Schulabschluss und folglich keine Möglichkeit den Beruf zu erlernen, der den intellektuellen Möglichkeiten entspricht. Betroffene können keine sozialen und partnerschaftlichen Beziehungen aufbauen und halten, sind latent gefährdet, psychisch zu erkranken oder von Alkohol bzw. harten Drogen abhängig zu werden.

Multimodales Behandlungskonzept

Grundlage der multimodalen Behandlung, die verschiedene Therapieansätze und -möglichkeiten vereint, ist immer die Aufklärung und Beratung (Psychoedukation) der Eltern bzw. der Hauptbezugsperson(en). Ab dem Schulalter werden neben diesen auch die Betroffenen selbst in altersangemessener Form über die Entstehung, die Krankheitsanzeichen, den vermutlichen Verlauf sowie die Behandlungsmöglichkeiten ausführlich informiert. Die Beratung der Eltern beinhaltet u.a. pädagogische Empfehlungen zur Bewältigung konkreter Problemsituationen, hierbei werden die individuellen familiären Bedingungen und Belastungen berücksichtigt. Betroffene ältere Kinder werden zur Selbstbeobachtung und Selbststeuerung angeleitet.

Die Aufklärung und Beratung der Erzieher bzw. der Lehrer wird mit Einverständnis der Eltern immer dann durchgeführt, wenn im Kindergarten/in der Schule behandlungsbedürftige Symptome auftreten.

Weitere mögliche Bausteine eines multimodalen Behandlungskonzeptes der ADHS sind folgende Maßnahmen:

  • Elterntraining/Interventionen in der Familie - speziell zur Verminderung der hyperaktiven und aggressiven Symptomatik in der Familie
  • Interventionen im Kindergarten/der Schule - speziell zur Reduktion hyperaktiver und aggressiver Verhaltensauffälligkeiten in der entsprechenden Einrichtung
  • Verhaltenstherapeutische Maßnahmen für das/den Kindes/Jugendlichen (auf das Alter des Kindes abgestimmt, ab dem Schulalter) zur Verminderung von impulsiven und unorganisierten Aufgabenlösungen (Selbstinstruktionstraining) oder zur Anleitung des Schulkindes/Jugendlichen um Problemverhalten zu ändern (Selbstmanagement)
  • Medikamentöse Therapie zur Verminderung der typischen ADHS-Symptome in der Schule (seltener bereits im Kindergartenalter), in der Familie oder in anderer Umgebung.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen

Elterntraining/Interventionen in der Familie
Die Schulung der Eltern gilt als wichtiger Bestandteil des multimodalen Therapiekonzeptes im Rahmen der ADHS-Behandlung. Voraussetzung für ein erfolgreiches Elterntraining ist die Kooperationsbereitschaft der Hauptbezugsperson(en). Innerhalb des Trainings werden u.a. problembelastete Verhaltensmuster für konkrete Situationen untersucht. Unter Einbeziehung spezieller verhaltenstherapeutischer Techniken wird vor allem die Anwendung positiver Verstärkung und negativer Konsequenzen bei Problemverhalten geübt. D.h. konkret, es gibt in spezifischen Problemsituationen generell eine Rückmeldung an das Kind - mit einem Belohnungssystem für positive Verhaltensweisen (positive Verstärkung) bzw. mit angemessenen negativen Konsequenzen bei auffälligem Verhalten.

Eltern lernen darüber hinaus, sich selbst zu beobachten und zu beurteilen, um so ihre negativen Reaktionen auf das Kind zu kontrollieren. Bei Störungen der familiären Beziehungen und bei betroffenen Jugendlichen kann eine Familientherapie durchaus sinnvoll sein.

Interventionen im Kindergarten/in der Schule
Bei Schulkindern wird u.a. mit der Schule, der Schulbehörde und den Eltern bei der Platzierung des Kindes zusammengearbeitet, um eine Schule/Klasse zu finden, die der grundlegenden schulischen Leistungsfähigkeit des Kindes entspricht. Eine Sonderbeschulung ist häufig nicht notwendig. Bei Vorschulkindern mit stark ausgeprägter Symptomatik kann jedoch eine Unterbringung in eine vorschulische Sondereinrichtung sinnvoll sein.

Erklären sich Erzieher bzw. Lehrer zur aktiven Unterstützung bereit, wird hier wie beim Elterntraining mithilfe von speziellen verhaltenstherapeutischen Techniken die Anwendung positiver Verstärkung und negativer Konsequenzen bei Problemverhalten trainiert.

Verhaltenstherapie des Kindes/Jugendlichen
Sehr hilfreich sind verhaltenstherapeutisch konzipierte Gruppenkonzepte zur Förderung der Konzentration, der Lernstrategien oder der sozialen Kompetenz. In der Gruppe werden die in der Schule auffälligen Symptome besonders deutlich. Spezielle Behandlungsprogramme helfen den Kindern, in der Gruppe ihre Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität besser zu steuern. Verschiedene Behandlungseinheiten können vor oder während einer medikamentösen Behandlung sinnvoll sein.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen wird eine Verhaltenstherapie einzeln durchgeführt. Hier steht das so genannte Selbstinstruktionstraining im Mittelpunkt, welches ADHS-Kinder an eine strukturierte Aufgabenlösung heranführt. Das Kind ist typischerweise nicht in der Lage, auch bei dem Angebot von attraktiven Belohnungen, Hausaufgaben über eine der Klassenstufe des Kindes angemessene Zeit mit angemessenem Arbeitstempo organisiert durchzuführen. Da nicht erwartet werden kann, dass durch das Selbstinstruktionstraining die meisten Symptome in der Familie und in der Schule vermindert werden können, ist es sinnvoll, parallel Interventionen in der Familie und/oder in der Schule durchzuführen.

Therapie von ADHS-begleitenden Störungen
Zur Behandlung von Begleitstörungen können beispielsweise folgende Maßnahmen ergänzend eingesetzt werden:

  • Soziales Kompetenztraining zur Verbesserung des zwischenmenschlichen Zusammenlebens und der Minderung von aggressiven Verhaltensstörungen
  • Einzel- und/oder Gruppenpsychotherapie/Verhaltenstherapie zur Verminderung von geringem Selbstwertgefühl und/oder Problemen mit Gleichaltrigen
  • Übungsbehandlungen zur Verminderung von möglichen Entwicklungsstörungen (Teilleistungsschwächen wie Rechen- oder Lese- und Rechtschreibschwäche).

Medikamentöse Therapie

Nach sorgfältiger Diagnosestellung und genauer Aufklärung des Patienten, der Eltern und Betreuenden gilt die medikamentöse Therapie als wirksam, sicher und ungefährlich. Langzeitnebenwirkungen oder Abhängigkeiten sind nicht bekannt. Zudem konnte in großen Untersuchungen gezeigt werden, dass die Einnahme von Stimulanzien die wirksamste Behandlung ist, um die Kernsymptome bei ADHS zu mildern und aufgrund der resultierenden besseren Integration in das schulische und berufliche Umfeld, Unfällen, Sucht und Kriminalität vorzubeugen.

Die Einnahme von Medikamenten ermöglicht darüber hinaus häufig erst den erfolgreichen Einsatz nicht-medikamentöser Behandlungen.

Im Vorschulalter ist die medikamentöse Therapie stets „Off-Label“ und damit nur in extremen Ausnahmen möglich, wenn die Symptome trotz Elterntraining, Frühförderung, heilpädagogischer Maßnahmen usw. so schwerwiegend sind, dass sie eine altersgerechte Entwicklung sowie die soziale Integration des Kindes verhindern.

Die Behandlungsdauer richtet sich nach dem Schweregrad der Symptome und der Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen.

Methylphenidat
Der Wirkstoff Methylphenidat reguliert das Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn – die behandelten Kinder werden ausgeglichener, können Umwelteinflüsse besser verarbeiten und ihren (Schul-)Alltag wesentlich leichter meistern. Die Konzentration wird gesteigert. Dabei handelt es sich bei dem eingesetzten Medikament nicht um ein Beruhigungsmittel – wie die formelle Verordnung auf Betäubungsmittelrezept fälschlicherweise vermuten lässt -, sondern um eine anregende (stimulierende) Substanz. Die stimulierende Wirkung bezieht sich auf die Aktivierung derjenigen Hirnbereiche, welche den Botenstoff Dopamin verwenden, und die in Folge Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit erhöhen.

Methylphenidat führt bei 70 bis 90% der Kinder mit ADHS zur Minderung der Unaufmerksamkeit und der Ruhelosigkeit mit deutlicher Konzentrationsverbesserung. Die Wirkung tritt nach 20-30 Minuten ein und hält drei bis vier Stunden an. Die Dosierung wird auf das jeweilige Kind abgestimmt, am Wochenende und in den Ferien werden nach Absprache in Einzelfällen Therapiepausen eingelegt.

Alternativ steht Methylphenidat für Kinder von 6 bis 18 Jahren auch mit verlängerter Wirkzeit zur Verfügung. ADHS-Kinder, die eine ganztägige Symptom-Kontrolle benötigen, müssen hiermit nicht mehr auf die meist lästige und unangenehme erneute Einnahme des Medikaments während der Schul- und Freizeit achten. Die besondere Wirkstoff-Aufbereitung versorgt sie über 6-8 oder 8-12 Std. mit einer vorgegebenen Stimulanzienmenge. Damit wissen Eltern, dass ihr Kind das Medikament in der empfohlenen Tagesdosis erhalten hat.

Appetitminderung ist häufig; Übelkeit, Schlafprobleme, Blässe, Schwindel, Weinerlichkeit sowie Kopf- und Bauchschmerzen können in einigen Fällen bei der Einnahme auftreten. Auch eine vorübergehende Wachstumsverlangsamung bei normaler Endgröße gehört zu den Nebenwirkungen. Regelmäßige ärztliche Kontrolle der Medikation, vor allem der Dosierung (z.B. auch Dosisanpassung bei Größen- und Gewichtszunahme), ist bei allen Patienten erforderlich. Bei diesen Arztbesuchen kann auch über mögliche Nebenwirkungen gesprochen werden.

Atomoxetin
Seit einigen Jahren ist in Deutschland ein weiterer Wirkstoff – Atomoxetin - zur Behandlung von ADHS-Patienten im Alter von 6 bis 18 Jahren zugelassen. Er greift nicht wie Methylphenidat in das Dopamin-System ein, sondern reguliert selektiv die Noradrenalin-Wiederaufnahme. Auf diese Weise steigt die Konzentration des Botenstoffes im synaptischen Spalt. Auch dabei wird die Kernsymptomatik der ADHS verringert. Atomoxetin wird einmal täglich verabreicht und wirkt 24 Stunden. Dadurch kann es auch  problematisches Verhalten - insbesondere am Abend und in den frühen Morgenstunden - mindern. Da ein Blutspiegel aufgebaut werden muss, kann es 4-6 Wochen dauern, bis die Wirkung der Medikation deutlich erkennbar wird.

Das Nebenwirkungsprofil ähnelt dem von Methylphenidat. Schlafstörungen und Appetitlosigkeit scheinen seltener, Müdigkeit und Übelkeit häufiger aufzutreten. Mundtrockenheit, Verstopfung und Stimmungsschwankungen werden gelegentlich beobachtet. In sehr seltenen Fällen wurden Leberfunktionsstörungen und suizidale Äußerungen berichtet.

Andere Medikamente
Bei geringer Wirksamkeit von Methylphenidat kann der behandelnde Arzt eine DL-Amphetamin-Rezeptur verordnen (es gibt in Deutschland kein Fertigpräparat). DL-Amphetamin regelt ebenfalls den Dopamin-Haushalt und setzt zusätzlich Dopamin in den synaptischen Spalt frei.

In Ausnahmefällen werden darüber hinaus andere Medikamente wie Antidepressiva oder Beruhigungsmittel eingesetzt.

Störungen auf Herz und Kreislauf durch Medikamente zur Behandlung der ADHS: Trotz vieler Pressemeldungen konnte bislang nicht belegt werden, dass Medikamente zur Behandlung von ADHS den Zustand des Herzens beeinflussen oder plötzlichen Herztod verursachen. Allerdings können diese Medikamente die Herzfrequenz und den Blutdruck bei einigen Kindern und Jugendlichen erhöhen. Diese Nebenwirkungen werden normalerweises nicht als gefährlich eingeschätzt, sollten aber bedacht werden. Insbesondere Kinder mit Herzfehlern oder Rhythmusstörungen, oder dem anamnestischen Hinweis auf familiäre Herzprobleme sollten daraufhin kontrolliert werden, soweit dies vom Arzt als notwendig erachtet wird.