Einnässen (Enuresis), Inkontinenz
Therapie
Bettnässen (Enuresis)
Um die Erfolgsquote zu erhöhen, wird das Einnässen am Tag vor dem Bettnässen behandelt. Sind organische Ursachen ausgeschlossen, versucht die Kinder- und Jugendärztin / der Kinder- und Jugendarzt die Eltern erst einmal zu beruhigen und Wissen zu vermitteln. Vor dem 5. Geburtstag wird das Einnässen normalerweise nicht behandelt. Auch bei älteren Kindern sind die Chancen groß, dass sich das Problem von alleine löst: 15% der Kinder werden pro Jahr auch ohne gezielte Maßnahmen trocken. Da Einnässen für Kinder sehr belastend sein kann, wird die Kinder- und Jugendärztin /der Kinder- und Jugendarzt einerseits versuchen, das Kind zu entlasten, andererseits wird sie/er es aber auch motivieren, nicht aufzugeben.
Als erste Behandlungsmaßnahme erfolgt die sogenannte „Standard-Urotherapie“. Diese beinhaltet: Information und Entmystifizierung (Es handelt sich um kein gefährliches Krankheitsbild, die Selbstheilungsquote ist hoch, eine Behandlung ist meist erfolgreich); Instruktion zum optimalen Blasen- und Darmentleerungsverhalten; Instruktion zum Trink- und Ernährungsverhalten; Dokumentation von Symptomatik und Miktionsverhalten sowie regelmäßige Betreuung und Unterstützung.
Bei 40% der Kinder wird durch diese Therapie eine vollständige Kontinenz erreicht und weitere 40% zeigen eine deutliche Redaktion ihrer Symptomatik.
Trinkverhalten sowie Toilettengänge protokollieren und Erfolgskalender führen
Wenn Kinder nachts einnässen, sollten Eltern sicherstellen, dass ihr Kind am Abend nicht den Flüssigkeitsbedarf für den gesamten Tag deckt. Deshalb sollten sie das Kind tagsüber anhalten, regelmäßig zu trinken und zur Toilette zu gehen. Fünf bis sieben Toilettengänge pro Tag gelten als „normal“. Die „Siebenbecherregel“ hat sich bewährt. Sie besagt, dass Kinder über den Tag verteilt 7 Becher mit einer altersabhängigen Trinkmenge von 150-200 ml trinken sollten. Am Abend sollten sie keine größeren Mengen mehr trinken. Idealerweise sollte das Kind zwei Stunden vor dem Schlafengehen nichts mehr trinken. Allerdings sollten Eltern das Trinken am Abend nicht komplett unterbinden. Die Matratze kann durch eine Kunststoffauflage geschützt werden.
In einem Kalender („Sonne-Wolken-Kalender“) können die trockenen Nächte und das Einnässen erfasst werden. Der Kalender sollte so gestaltet sein, dass er die trockenen Nächte hervorhebt (z.B. durch einen besonders schönen Sticker, den sich das Kind aussuchen darf), die „feuchten“ Nächte aber nicht negativ herausstellt, sondern einfach unbeschrieben lässt. Etwa ein Großteil der betroffenen Kinder wird dadurch bereits innerhalb von vier Wochen trocken.
Erst wenn diese Maßnahmen nicht helfen, kommen die nächtlichen Weckapparate (apparative Verhaltenstherapie, AVT), meist in Form einer „klingelnden Hose“ oder einer „Klingelmatte“. Bei diesen Geräten wird über einen Feuchtigkeitsfühler ein Stromkreis geschlossen, wenn das Gerät nass wird, klingelt es. Die Erfolgsraten der Geräte sind vergleichbar. Ein nächtlicher Weckapparat kann mit einer Windel kombiniert werden, welche die Kinder über einer Unterhose tragen, an die der Feuchtigkeitsfühler angeschlossen wird. Voraussetzung für den Einsatz einer AVT ist, dass Eltern und Kinder motiviert sind, diese durchzuführen, und sie sollten die Ursachen des nächtlichen Einnässens verstanden haben.
Wird der Feuchtigkeitsfühler während der Nacht nass, sollte der Klingelton das Kind wecken. Für einen Therapieerfolg reicht es aber aus, wenn das Kind von den Eltern geweckt wird. Es sollte dann zur Toilette gehen, die Blase vollständig entleeren. Zeitgleich kann ein Kalender geführt werden, in dem eingetragen wird, wie oft das Kind nachts einnässt, wann es trocken geblieben ist oder mit voller Blase eigenständig aufgewacht und zur Toilette gegangen ist.
Um Erfolg zu haben, sollte der Weckapparat mindestens 2 bis 3 Monate im Einsatz sein, und dies ohne Unterbrechung. Führen Klingelgeräte nicht zum erwünschten Erfolg, kann das Medikament Desmopressin verordnet werden. Desmopressin ist ein Wirkstoff, der die Urinmenge reduziert. Dadurch werden ca. 70% der Kinder trocken, viele nässen nach dem Absetzen des Medikaments allerdings wieder ein. Der Arzneistoff ist gut verträglich, ernste Nebenwirkungen treten sehr selten auf.
Schließlich wurden für Kinder und Jugendliche, die mit den üblichen Maßnahmen (d.h. Klingelgerät und Desmopressin) nicht trocken werden, Schulungsprogramme entwickelt. In Einzelschulungen oder Kleingruppen tauschen sie sich mit anderen Betroffenen aus. Dies trägt dazu bei, das eigene Selbstvertrauen zu stärken. Außerdem erhalten sie ausführliche Informationen über ihren Körper, über Nahrung und Getränke, Entspannung und das Einnässen. Hausaufgaben runden diese Schulungsprogramme ab. Viele Kinder werden durch diese Programme schnell trocken.
Sind körperliche Ursachen für das Einnässen ausgeschlossen und besteht der Verdacht, dass seelische Ursachen vorliegen, überweist die Kinder- und Jugendärztin /der Kinder- und Jugendarzt die Eltern mit dem Kind eventuell zu einer Kinder- und Jugendpsychiaterin / einem Kinder- und Jugendpsychiater. Dort ist auch die Mitarbeit der Eltern gefragt. Sie können Auskunft geben zur bisherigen Entwicklung, möglicherweise belastenden Vorfällen und den bisherigen Versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen. Wenn das Kind in den Ferien trocken bleibt, während der Kindergarten- oder Schulzeit aber einnässt, dann geht es darum zu verstehen, was die Ursache ist.
Leidet ein Kind unter einer Dranginkontinenz und nässt auch nachts ein, können andere Medikamente hilfreich sein. Propiverin mindert beispielsweise die Muskelspannungen in der Blase und reduziert auf diese Weise den Harndrang. Medikamente sollten nicht ohne Absprache mit einer Kinder- und Jugendärztin / einem Kinder- und Jugendarzt angewendet werden.
Einnässen tags (Harninkontinenz)
Kinder mit Dranginkontinenz, die plötzlich und dann sehr dringend zur Toilette müssen, müssen zuerst lernen, auf die von ihnen entwickelten Haltemanöver zu verzichten. Sie können z.B. im Rahmen einer Verhaltenstherapie lernen, die Drangsymptome wahrzunehmen und daraufhin umgehend die Toilette aufzusuchen, ohne den Beckenboden anzuspannen. In einem Kalender wird eingetragen, wann sie es ohne Einnässen bis zur Toilette geschafft haben (z.B. mit Fähnchen oder Sonne) und wann nicht (beispielsweise mit Wolken). In dieser Zeit muss das Kind immer und überall sofort auf Toilette gehen können. Erzieher:innen und Lehrer:innen müssen daher über das Training informiert und um wohlwollende Unterstützung gebeten werden. Bleibt die Hose immer häufiger trocken, ist dies ein Zeichen für erste Behandlungsfortschritte. Schließlich werden dann auch die Zeitintervalle zwischen den Toilettenbesuchen länger. Bei einem Drittel der Kinder reichen diese einfachen Maßnahmen aus. Bei den anderen ist eine medikamentöse Behandlung erforderlich. Wenn dies nicht ausreicht, kann eine transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) zum Einsatz kommen. Dabei werden Oberflächenelektroden oberhalb des Steißbeinbereichs (im Sakralbereich) angebracht. Sie sollen die Aktivität der Nerven beeinflussen, die für die Blasenfunktion verantwortlich sind, und somit den Harndrang regulieren.
Kindern, die den Toilettengang aufschieben, sollte man erst einmal erklären, dass ein Zusammenhang zwischen dem Einhalten des Urins und dem Einnässen besteht. In der Folgezeit werden sie dann zu festen Zeiten zur Toilette geschickt. Ein Wecker kann sie beispielsweise alle zwei bis drei Stunden erinnern, zur Toilette zu gehen. Insgesamt sollte das Kind etwa sieben Mal am Tag zur Toilette gehen. Für ihre Mitarbeit können die Kinder für jeden Toilettenbesuch belohnt werden (z.B. mit kleinen Stickern). Belohnt werden sie ausschließlich für ihre Kooperation und nicht dafür, dass sie trocken bleiben. Nässen sie gelegentlich ein, werden Belohnungen deshalb auch nicht entzogen.
Kinder, die unter einer Blasenentleerungsstörung leiden, müssen mitunter stark pressen, bevor der Harn fließt. Meist ist der kontinuierliche Harnfluss bei ihnen unterbrochen. Diesen Kindern kann ein Bio-Feedback-Training helfen. Auf einer speziellen Toilette können die Kinder über einen Monitor sowohl den Harnfluss als auch das meist unbewusste Anspannen des Beckenbodens beobachten. So lernen sie den Beckenboden und damit den Schließmuskel gezielt entspannen. Dieses Training erfordert die Unterstützung durch Expert:innen.
Kinder mit Stressinkontinenz müssen ihren Beckenboden trainieren, Kinder, die an der unteraktiven Blase leiden, benötigen ein intensives Blasentraining. Bei Lachinkontinenz helfen Konditionierung und Medikamente.
Unterstützung durch die Eltern
Wenn Eltern fest an den Erfolg ihres Kindes glauben, helfen sie ihm sehr. Um eigene Zweifel zu zerstreuen, hilft es, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass das Problem in der Regel im Jugendalter ausgewachsen ist. Leidet das Kind unter Einnässen oder plagen es Selbstzweifel, kann man es daran erinnern, dass es doch schon ganz andere Dinge im Leben gelernt hat und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es trocken ist.
Tagsüber können Eltern ihre Kinder unterstützen, indem sie sie regelmäßig zur Toilette schicken, insbesondere dann, wenn die Kinder die Uhr noch nicht lesen können oder die Zeit beim Spielen vergessen. Sehr selbstständige Kinder können sich eventuell einen Wecker stellen und auf diese Weise eigenständig üben.
Verweigern Kinder die Mitarbeit, hilft meist eine liebe- und verständnisvolle Reaktion weiter als Druck, der die Situation zusätzlich verschärfen kann. In der Regel hat diese Eigenständigkeit des Kindes auch positive Aspekte.
Kindern, die nachts einnässen, können Eltern helfen, indem sie ihm tagsüber regelmäßig etwas zu trinken anbieten und das Angebot am Abend reduzieren. Sie sollten das Trinken am Abend allerdings nicht komplett unterbinden.
Beim Einsatz eines Klingelgeräts benötigen zumindest jüngere Kinder ebenfalls die Mithilfe der Eltern.
Darüber hinaus sollten Eltern den Wert von Kalendern mit Symbolen, die die Kinder verstehen, nicht unterschätzen. Sie können die Kinder stark motivieren. Idealweise nehmen Eltern und Kind den Eintrag im Kalender gemeinsam vor.