Kinder und Jugendliche mit Lungenerkrankungen dürfen an hessischen Kliniken nicht mehr von Kinder- und Jugendärzten behandelt werden, wenn sie älter als 12 Jahre sind. Dies ist das Ergebnis eines Beschlusses der Kassenärztlichen Vereinigung Hessens (KVH), der seit Anfang Oktober gültig ist. Nach Ansicht der KVH soll eine Versorgung dieser Kinder durch die niedergelassenen Lungenärzte für Erwachsene erfolgen. Es gäbe keinen Grund, Kinder in kinderärztlichen Spezialambulanzen zu betreuen. Betroffen von dieser Regelung sind bisher die Patienten und Ärzte an Kliniken in Darmstadt, Gießen und Frankfurt.
„Diese neue Regelung ist für Ärzte und Patienten absolut skandalös. Kinder- und Jugendärzte haben eine besondere Qualifikation für die Behandlung in der Altersgruppe von 0-18 Jahren. Die Schaffung einer willkürlichen Altersgrenze von 12 Jahren ist nicht vermittelbar und birgt enorme Risiken für die Gesundheit unserer kleinen Patienten. Es gibt viele Besonderheiten bei Kindern, mit denen der Erwachsenenarzt durch seine Ausbildung nicht vertraut sein kann. Eine unzureichend behandelte Erkrankung kann in der Folge zu einem chronischen Verlauf führen, unter dem die Betroffenen dann Jahre und möglicherweise auch lebenslang leiden. Die Erkennung und konsequente Behandlung solcher Erkrankungen bei Kindern gehört in die Hand des Kinderspezialisten – und das sind die Pädiater“, erläutert Dr. Bernhard Lettgen, Chefarzt an den Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret. Und auch bei Eltern stößt der Zwang zum Arztwechsel auf absolutes Unverständnis. „Meine Tochter Katharina (14 Jahre) leidet an einem schweren allergischen Asthma bronchiale. Unser Kinder- und Jugendarzt überweist uns seit Jahren an die pädiatrischen Experten hier in der Kinderklinik Darmstadt. Durch diese gute Zusammenarbeit der niedergelassenen Kinderärzte mit den Fachärzten in der Klinik hat sich der Gesundheitszustand meiner Tochter erheblich verbessert. Dass ich jetzt gezwungen werde, den Arzt zu wechseln, ist unglaublich. Ich dachte, wir leben in einem Land mit freier Arztwahl. Wer sich so etwas ausdenkt, scheint den Alltag von Familien mit kranken Kindern nicht zu kennen“, kritisiert Anja Stolz-Burkhardt, 39 Jahre, Kauffrau aus Bischofsheim. Begründet wird diese Neuregelung der KVH mit der Ansicht, Kinder könnten auch von niedergelassenen internistischen Erwachsenen-Pneumologen betreut werden, sodass eine pädiatrische Spezialambulanz nicht notwendig sei.
Kinderärzte warnen vor gesundheitlichen Folgen für Kinder
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) kritisiert diese Neuregelungen scharf. „Wenn dafür ausgebildeten Pädiatern die Behandlung von 12-jährigen Kindern in der Klinik nicht mehr erlaubt ist, dann hat das in Zukunft auch dramatische Konsequenzen für die Ausbildung von Kinder- und Jugendärzten und damit für die gesundheitliche Versorgung zukünftiger Generationen. Wie bitte soll die gesundheitliche Entwicklung von Kindern verfolgt werden, wenn Kinder plötzlich von Ärzten behandelt werden sollen, die sonst kaum mit Kindern zu tun haben? Gerade bei Kindern mit schweren Lungenerkrankungen kann das fatale Folgen haben. Diese Entscheidung der ärztlichen Selbstverwaltung ist weder medizinisch noch organisatorisch oder juristisch nachvollziehbar und muss daher schnellstens geändert werden“, fordert Dr. Josef Geisz, Landesvorsitzender des BVKJ in Hessen. Familie Stolz will sich mit der Situation keinesfalls abfinden. „Wenn nötig, werden wir rechtliche Schritte einleiten, um die gesetzlich garantierte freie Arztwahl auch für unsere Tochter zu erstreiten“, so Stolz.