Tausende von bayerischen AOK-Versicherten werden von Mitgliedern des Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV) massiv dazu gedrängt, sich in den so genannten „Hausarztvertrag“ der AOK Bayern einschreiben zu lassen. Patienten, die sich nicht einschreiben, wird damit gedroht, dass sie sonst nur noch in Not- oder Vertretungsfällen behandelt werden. Eltern, die mit ihrem Nachwuchs bei Kinder- und Jugendärzten in Behandlung sind, wurden darüber hinaus schriftlich aufgefordert, sich zwischen Hausarzt oder Kinder- und Jugendarzt zu entscheiden. „Jeden Tag kommen völlig verunsicherte AOK-Patienten zu uns in die Praxis und fragen uns, wie sie sich verhalten sollen. Der Bayerische Hausärzteverband nutzt seine Verhandlungsposition mit der AOK Bayern bereits jetzt schamlos aus, um Patienten gegen ihren Willen von uns Kinder- und Jugendärzten abzuziehen. Das ist ein Skandal“, kritisiert Dr. Heinz Reiniger, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Bayern.
Hintergrund ist ein neuer Vertrag zwischen dem BHÄV und der AOK Bayern, der ab dem 1.4.09 in Kraft treten soll und den Hausärzten für Behandlungen von eingeschriebenen AOK-Patienten höhere Honorarzahlungen garantiert. „Dieser Vertrag ist noch nicht einmal unterschrieben, aber bereits jetzt zeigen sich die fatalen Auswirkungen für Patienten und hausärztlich tätige Mediziner, die nicht dem BHÄV angehören. AOK-Patienten werden erpresst, sich einschreiben zu lassen. Ärzte werden dazu gedrängt, sich dem Hausärzteverband anzuschließen oder diesem Vertrag beizutreten, ohne ein eigenes Verhandlungsmandat zu bekommen. Und gleichzeitig wurde massiv dafür geworben, dass alle dafür in Frage kommenden AOK-Patienten als chronisch kranke Patienten eingestuft werden (die so genannte ICD-Codierung), damit die AOK Bayern für diese Patienten entsprechende Ausgleichzahlungen aus dem Gesundheitsfond (morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich, kurz - Morbi-RSA) erhält. Das geht so weit, dass Ärzten vonseiten der AOK vorgeschlagen wurde, ein 16 Monate altes Kind als Parkinson-Patienten einzustufen. Dieser Unsinn muss sofort gestoppt werden“, fordert Reiniger.
Patienten verunsichert - Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert eigenen Vertrag
Bisher hat die AOK Bayern – als einzige Krankenkasse in Bayern – ausschließlich mit dem bayerischen Hausärzteverband über einen neuen Vertrag für hausärztlich tätige Mediziner verhandelt. Eigenständige Vertragsverhandlungen mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte oder den hausärztlich tätigen Internisten des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI) lehnte die AOK Bayern bisher ab. Diese Monopolstellung des BHÄV machen die Kinder- und Jugendärzte für die jetzige Situation verantwortlich. „Wir distanzieren uns ganz eindeutig von der Vorgehensweise des Bayerischen Hausärzteverbandes und der AOK Bayern. Der Gesetzgeber ist hier in der Verantwortung. Es kann nicht sein, dass ein privater Verband mit einer solchen Machtfülle ausgestattet wird, die dann umgehend gegen andere Arztgruppen und auch Patienten eingesetzt wird. Um das noch einmal klar zu stellen: Es ist völlig legitim, sich für eine bessere Honorierung der eigenen Mitglieder einzusetzen – und sicherlich ist das im ambulanten Bereich wie auch in der Klinik dringend notwendig. Aber was hier passiert, ist die Bevorzugung einer einzelnen Gruppierung auf Kosten aller anderen. Die Leidtragenden sind AOK-versicherte Eltern mit ihren Kindern, die jetzt zur Einschreibung in das Hausarztmodell gezwungen werden“, kritisiert Reiniger. Und auch die AOK-Versicherten selbst schlagen Alarm. „Ich fühle mich unter Druck gesetzt. Der Hausarzt hat mir mitgeteilt, dass ich mich und meine Kinder in den Hausarztvertrag einschreiben soll und dass ich jetzt auch mit den Kindern nur noch zu ihm kommen soll. Auch wenn ich inzwischen weiß, dass das so nicht stimmt, belastet mich die Situation sehr“, klagt Jana Tetley-Angele, 25-jährige Mutter von 2 Kindern aus Waltenhofen im Allgäu. Kein Einzelfall – in einem internen Rundschreiben der AOK an den BHÄV wird beklagt, dass Versicherte aus ganz Bayern sich inzwischen beschweren und man daher zukünftige Versichertenrundschreiben „…gemeinsam abstimmen sollte“.
Eine Lösung für diese Situation sehen die Kinder- und Jugendärzte in eigenen Verträgen. „In unserem Verband sind mehr als 90% aller Kinder- und Jugendärzte in Bayern organisiert. Wenn wir einen eigenen Vertrag mit den Krankenkassen zu vergleichbaren Konditionen abschließen können, mit klar festgelegten Qualitätsstandards für die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen, dann gibt es keinen Grund für andere Arztgruppen, in dieser Art und Weise Patienten zu akquirieren. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Arztgruppen war bisher sehr vertrauensvoll – und das sollte im Sinne der Patienten auch so bleiben. Daher fordern wir die AOK Bayern und auch die anderen Kassen auf, mit uns direkt zu verhandeln und damit die pädiatrische Versorgung der Patienten in Bayern auch für kommende Generationen zu sichern“, appelliert Reiniger.