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Giftnotruf: Eltern in der Warteschleife

In Deutschland stehen nur noch zehn Giftnotrufzentren Hilfesuchenden zur Verfügung. Alle Zentren sind voll ausgelastet, jährlich müssen rund um die Uhr insgesamt über 190.000 Anrufe bewältigt werden. Über die Hälfte aller Anfragen betreffen Kinder, insbesondere Kleinkinder, die Putzmittel, Kosmetika, Pflanzenteile oder andere schädliche Substanzen versehentlich eingenommen haben. Oft zählt jede Minute - doch viele Eltern landen aufgrund von Überlastungen erst einmal in der Warteschleife. Dennoch sind weitere Kürzungen im Gespräch - dabei wurden bereits in den letzten zehn Jahren sieben Giftnotrufzentralen aufgrund fehlender finanzieller Mittel geschlossen...

In den deutschen Giftinfor-mationszentren (GIZ) stehen die beratenden Ärzte ständig unter Strom. Im Extremfall erhält ein Arzt bis zu 20 Anrufe pro Stunde. Er muss nicht nur beraten, sondern auch dokumentieren, was in solchen Fällen zeitlich kaum möglich ist. "Höchstens acht Anrufe pro Stunde sind zu schaffen", erklärt Dr. Herbert Desel, stellvertretender Leiter des Giftinformationszentrums-Nord (GIZ-Nord) in Göttingen. Vor allem im Sommer herrscht Hochbetrieb. "In diesen Monaten stecken Kinder häufig irgendwelche Pflanzenteile (z. B. Beeren oder Pilze) in den Mund."

Einsparungen an falscher Stelle
Aufgrund knapper Finanzen sparen die Länder auch bei ihren Giftnotrufzentren. In Berlin wurde beispielsweise in den letzten zwei Jahren die Hälfte der Stellen gestrichen. Die Leidtragenden sind vor allem ratsuchende Eltern und ihre Kinder. Dabei ist bei vielen Giftnotrufen die Erreichbarkeit jetzt schon stark eingeschränkt: Sind alle Leitungen belegt, gibt es keine einheitliche "Notfallregelung" - ein Ansagedienst, eine Warteschleife oder der Anruf kann u. U. auch an den Pförtner weitergleitet werden. Bei diesen Engpässen kann wertvolle Zeit vergehen.

Dabei verhindert die qualifizierte Beratung der Zentren häufig unangenehme und überflüssige Therapiemaßnahmen. "Unnötige Magenspülungen konnten beispielsweise stark reduziert werden", so Dr. Uwe Stedtler, stellvertretender Leiter der Vergiftungs-Informations-Zentrale (VIZ) Freiburg. Von 100.000 gefährdeten Kindern können nach telefonischer Fachberatung mindestens 80.000 zu Hause bleiben, ohne Beratung würden erheblich mehr Kinder stationär behandelt werden.

Ungenütztes Wissen
Da die Zentren kaum Kapazitäten frei haben, bleibt auch die Dokumentation und der Datenaustausch häufig auf der Strecke. Gerade dadurch könnten beispielsweise gesundheitsschädliche Produkte frühzeitig erkannt und vom Markt genommen werden. Auch ein internationaler Informationsaustausch wäre wünschenswert und zeitsparend. "Wenn wir beispielsweise einen Giftunfall mit einem türkischen Pflanzenschutzmittel haben, ist der Rechercheaufwand jetzt noch recht hoch", so Dr. Desel.

Verwirrend viele Giftnotrufnummern
Wichtige Minuten gehen oft auch dadurch verloren, dass die Eltern erst nach der entsprechenden Giftnotrufnummer suchen müssen. Einfacher wäre eine bundeseinheitliche gebührenfreie Nummer, die automatisch an das nächstgelegene Zentrum verbindet. Bis auf Nürnberg und Erfurt sind zurzeit alle Zentren mit der gebührenpflichtigen Nummer 19240 plus der entsprechenden Ortsvorwahl zu erreichen - die ist aber vielen Eltern nicht bekannt.