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Kangaroo-Care fördert kognitive Entwicklung von Frühgeborenen

Haut-zu-Haut-Kontakt mit einem Elternteil bzw. Kangaroo-Care wirkt sich längerfristig positiv auf die kognitive Entwicklung von Frühgeborenen aus. Dies ergab eine aktuelle Studie der Stanford Medicine (Kalifornien, USA). Frühchen, die während ihres Krankenhausaufenthalts als Neugeborene mehr Haut-zu-Haut-Kontakt erhalten hatten, wiesen demnach im Alter von einem Jahr weniger Entwicklungsverzögerungen auf.

Die Forschungsarbeit, die im „Journal of Pediatrics“ veröffentlicht wurde, zeigte, dass selbst ein geringfügig längerer Haut-zu-Haut-Kontakt einen messbaren Unterschied in der neurologischen Entwicklung der Babys während seines ersten Lebensjahres bewirkten.

„Es ist interessant und aufregend, dass es nicht viel braucht, um die Ergebnisse von Babys wirklich zu verbessern“, kommentierte die leitende Autorin der Studie, Ass.-Professorin Dr. Katherine Travis, PhD.
Die Intervention ist einfach: Ein Elternteil hält das Baby, das nur eine Windel trägt, auf der Brust, direkt neben der Haut. Aber da Frühchen im Krankenhaus klein und zerbrechlich sind und oft an viele Schläuche und Kabel angeschlossen sind, kann es kompliziert erscheinen, das Baby zu halten. Eltern benötigen möglicherweise Hilfe vom betreuenden medizinischen Team. Diese Arbeit lohnt sich, wie die Studie zeigte.
In den letzten 50 Jahren haben sich die Überlebensraten von Frühchen deutlich verbessert. Doch Frühchen haben ein erhöhtes Risiko, langfristig neurologische Entwicklungsstörungen zu entwickeln - darunter Entwicklungsverzögerungen und Lernschwierigkeiten.

Mehr Hautkontakt war besser

Das Forschungsteam überprüfte Krankenakten von Säuglingen, die sehr früh geboren wurden, also mindestens acht Wochen zu früh, und zwischen dem 1. Mai 2018 und dem 15. Juni 2022 im Lucile Packard Children’s Hospital Stanford betreut wurden. Kurz vor Beginn der Studie hatten Krankenschwestern auf der Neugeborenenintensivstation des Krankenhauses begonnen, zu dokumentieren, wie die Babys versorgt wurden - einschließlich wie lange Eltern Hautkontakt mit ihren Frühgeborenen hatten.

Die Studie umfasste 181 Frühchen, die unter keinen genetischen oder angeborenen Erkrankungen litten, von denen bekannt ist, dass sie die neurologische Entwicklung beeinträchtigen, und die nach ihrem Verlassen der Neugeborenenintensivstation Nachuntersuchungen erhalten hatten. Alle sehr frühgeborenen Babys haben in Kalifornien Anspruch auf Betreuung durch das High Risk Infant Follow-Up-Programm bis zum Alter von 3 Jahren. Das Programm bietet Entwicklungstests an und vermittelt Familien an geeignete Therapeuten, wenn ihre Kinder Entwicklungsverzögerungen aufweisen.

Die Studie wertete die Aufzeichnungen der Nachuntersuchungen aus, die die Babys im Alter von 6 und 12 Monaten erhielten. Die Säuglinge in der Studie wurden im Durchschnitt in der 28. Schwangerschaftswoche oder etwa 12 Wochen vor ihrem Geburtstermin geboren. Sie blieben im Durchschnitt etwa zweieinhalb Monate im Krankenhaus.

Die Babys in der Studie verbrachten durchschnittlich etwa 17 Minuten mit Haut-zu-Haut-Kontakt pro Tag. 7% der Familien hatten keinen Haut-zu-Haut-Kontakt und 8% hatten mehr als 50 Minuten pro Tag.
Bereits etwas mehr Zeit, die Kinder mit Haut- Kontakt zu ihren Eltern erlebten, bewirkte einen deutlichen Unterschied bei der neurologischen Entwicklung im Verlauf von einem Jahr. Durchschnittlich 20 Minuten mehr Haut-zu-Haut-Kontakt pro Tag waren mit einer Steigerung von 10 Punkten auf der Bewertungsskala für die neurologische Entwicklung verbunden. Ähnlich wie bei einem IQ-Test hat die Skala einen Durchschnitt von 100 Punkten; ein Wert von 70 oder weniger deutet auf erhebliche Entwicklungsverzögerungen hin. Die Häufigkeit und Dauer des Hautkontakts sagten die kognitiven Werte nach 12 Monaten voraus.

Was löst diesen positiven Effekt aus?

Obwohl die Studie nicht darauf ausgerichtet war, zu untersuchen, wie sich der Hautkontakt auf das Gehirn von Babys auswirkt, haben die Forscher*innen einige Vermutungen.
„Wir betrachten die Gebärmutter als die ideale Umgebung für Babys. Im Mutterleib ist ein Fötus physisch eingeschlossen, hört den Herzschlag der Mutter, hört Mamas Stimme und hört sie wahrscheinlich ihr Sandwich verdauen“, erklärte Co-Autorin Prof. Dr. Melissa Scala. „Auf der Neugeborenenintensivstation sind Babys alleine und hören den Ventilator im Inkubator; es ist eine ganz andere Umgebung. Hautkontakt ist wahrscheinlich das, was der Nachahmung der Gebärmutter am nächsten kommt.“

Auch Eltern können vom Haut-zu-Haut-Kontakt profitieren, was wiederum ihren Neugeborenen zugutekommen kann, so das Forschungsteam. „Die Umgebung der Neugeborenen-Intensivstation ist für Eltern und Babys sehr stressig, und Haut-zu-Haut-Kontakt kann das verringern“, verdeutlichte Travis und merkte an, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass Eltern mit einem sehr kleinen, kranken Baby eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.
Darüber hinaus können viele Frühchen noch nicht gestillt werden, sodass Haut-zu-Haut-Kontakt eine alternative Möglichkeit sein kann, die Bindung zwischen Eltern und Babys zu fördern.

Quellen: Eurek Alert! Stanford Medicine, Journal of Pediatrics