„Kinder mit gesetzlicher Krankenversicherung wird man demnächst an ihren Sprachstörungen erkennen“, befürchtet Jens Uwe Köhler vom Vorstand des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Der Bewertungsausschuss (BWA) aus Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen hindert uns daran, sprachauffällige Kinder zur dringend notwendigen Sprachtherapie (Logopädie) zu schicken.“
Hintergrund des Skandals: Der BWA, der festlegt, wie ärztliche Leistungen abgerechnet werden, hat in dem neuen, seit 1. April gültigen EBM (Einheitlicher Bemessungsmaßstab) apparative Hörtests für Kinder- und Jugendarztpraxen unmöglich gemacht. Ohne Hörtest dürfen Kinder- und Jugendärzte aber auch keine Sprachheilbehandlung verordnen.
Die Folge: dringend behandlungsbedürftige Kinder bleiben unbehandelt.
Dr. Monika Rausch, Präsidentin des deutschen Bundesverbandes für Logopädie (dbl): „Sprachkompetenz ist DIE Schlüsselkompetenz für schulischen, beruflichen und sozialen Erfolg. Mit dem neuen EBM werden sprachauffälligen Kindern, die besonders oft aus sozial schwachen Familien kommen, indirekt die Zukunftsmöglichkeiten genommen.“
Dabei hat es nicht an rechtzeitigen Warnungen gefehlt: Seit Oktober 2004 hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands den BWA darauf hingewiesen, die zur Therapieverordnung notwendigen apparativen Hörteste den Praxisgegebenheiten anzupassen. Seit 6 Monaten wird dies versprochen, seit 6 Monaten ist nichts geschehen. Seit 01.04.2005 ist deshalb die dringend nötige Behandlung für Tausende von Kindern nicht mehr gesichert. Aus diesem Grunde haben sich BVKJD und dbl nun zusammengeschlossen, um gemeinsam für die Behandlung sprachauffälliger Kinder zu kämpfen.
„Sprachgestörte Kinder brauchen frühzeitig Hilfe. Sprachdefizite und ihre gravierenden Folgen verschlimmern sich, wenn man die Zeit ungenutzt verstreichen lässt“, so Kinder- und Jugendärzte und Logopäden in einer heute gemeinsam in Köln herausgegebenen Erklärung. „Wir fordern den BWA daher auf, Kinder- und Jugendärzten weiterhin Rechtssicherheit für Hörtestungen nach bisherigem Standard zu garantieren. Es ist nicht vertretbar, ihnen Regressforderungen oder das Handeln in einer gesetzlichen Grauzone zuzumuten.“