Grundsätzlich sind Sparbemühungen des Staates angesichts der hohen Schuldenlast für die nachfolgenden Generationen dringend erforderlich, aber sie dürfen zu keinen weiteren Belastungen für Kinder und Jugendliche aus ohnehin benachteiligten Familien führen“, erklärt Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands (BVKJ e.V.) und kritisiert die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung.
Die Kinder- und Jugendärzte sorgen sich insbesondere darum, dass der notwendige strukturelle und qualitative Ausbau der frühkindlichen Entwicklungsförderung, wie sie z.B. in Kindertagesstätten und Kinderkrippen angeboten werden muss, auf Eis gelegt oder nur ansatzweise ausgebaut wird. Der Bildungsgipfel im Kanzleramt in der letzten Woche hat nicht gezeigt, dass die Politik in dieser wichtigen Frage ausreichend handlungsfähig ist.
„Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass überproportional viele Kinder aus armen Familien, aber auch aus Familien mit Migrationshintergrund vorschulisch nicht ausreichend gefördert werden, so dass ihre Chancen auf einen guten Schulabschluss und damit eine gute Sozialprognose schlecht sind. Kindertagesstätten und gezielte Bildungsförderung haben hier zunehmend eine extrem wichtige sozialkompensatorische Funktion. Sie können Kindern, die wegen der unzureichenden familiären Anregung sprachlich, kognitiv und sozial nicht ausreichend kompetent sind, eine wirksame frühe pädagogische Intervention ermöglichen und damit zu besseren Lebenschancen verhelfen. Kindertageseinrichtungen im Vorschulbereich sind eine mindestens so bedeutsame Bildungsinstanz wie die Schule, da in der frühkindlichen Entwicklung ganz entscheidende Weichen gestellt werden. Nur eine gut ausgebildete und in ihrem Potential optimal geförderte Nachwuchsgeneration ist in der Lage, mit dem von Eltern und Großeltern hinterlassenen Schuldenberg einigermaßen fertig zu werden“, so der Präsident des Verbands.
Die Kinder- und Jugendärzte verweisen darauf, dass pro Jahr ca. 70.000 – 80.000 Kinder und Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen und „voll in das soziale Netz“ fallen. Ca. 50 Prozent der Jugendlichen, die wegen Straftaten zu Jugendhaft verurteilt worden wären, haben keinen Schulabschluss. „Aus einer amerikanischen Untersuchung, in der seit jetzt über 40 Jahren die Lebensläufe ehemaliger Kinder aus einem sozialen Brennpunkt verfolgt werden, wissen wir, dass frühe, vorschulische Förderung einen nachhaltigen Effekt für das gesamte Leben der Geförderten hat. Die geförderten Kinder hatten bessere Schulabschlüsse, mehr Hochschulausbildungen, stabilere Ehen und deutlich weniger Kriminalität. Da jeder der Lebensläufe ökonomisch durchgerechnet wurde, wissen wir zudem, dass jeder in die frühkindliche Förderung investierte Dollar von den Geförderten 15-fach der Gesellschaft zurückgegeben wurde durch Wertschöpfung und eigenen Wohlstand.
Wenn unsere Gesellschaft also bei Kindern und Jugendlichen sinnvoll sparen will, dann dadurch, dass sie massiv in frühe Förderung investiert und allen Kindern bestmögliche Startchancen gewährleistet“, so der Präsident.