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Kleine Kinder gut zu Fuß

Der Mensch kommt gewissermaßen vierhändig zur Welt. Die Füßchen von Babys sind eigentlich Hände, geformt zum Festhalten, Greifen und Klettern, so wie bei unseren nächsten Verwandten, die noch auf den Bäumen leben.

Um sich mit dem Kopf über die Tiere zu erheben, muss der kleine Mensch zum Zweibeiner werden. Für diesen wichtigen Schritt, für den die Menschheit Jahrmillionen gebraucht hat, benötigt er nur zehn bis 15 Monate. Schuhe braucht er übrigens keine dazu, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer Stellungnahme.

„So zart sie auch aussehen mögen – Babyfüße sind stark genug, das Gewicht des Körpers zu tragen“, sagt Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Für ihre gesunde Entwicklung sind Schuhe nicht erforderlich, eher im Gegenteil: Schuhe hindern die Füße am Tasten und Greifen. Dadurch bleiben dem Kind wichtige sensorische Reize und Empfindungen und damit zusätzliche Wahrnehmungsimpulse für sein Gehirn vorenthalten. Schuhe braucht der Mensch nur zum Schutz gegen Kälte, Hitze und Verletzungen“.
Im Handel und im Internet bieten viele Hersteller ihre Kinderschuhe unter der Bezeichnung „Lauflernschuhe“ an. Dabei benötigt kein Kind Schuhe zum Laufenlernen, betont die Stiftung Kindergesundheit. Schuhe sind erst dann angebracht, wenn ein Kind schon so gut laufen gelernt hat, dass es auch draußen auf eigenen Beinen vorankommen möchte.

Barfußlaufen – ein Kick für Kopf und Füße

Am besten beginnt das Kind auf eigenen Sohlen zu laufen - barfuß. Oder - zum Beispiel bei kalten Fußböden in der Wohnung - auf Socken oder in biegsamen Hausschuhen, die gegen das Rutschen mit Gumminoppen ausgerüstet sind. Ihr Vorteil: Die Füße bewegen sich freier und man erkennt leicht, ob die Socken passen. Denn auch Hausschuhe müssen passen, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit: Leider tragen laut aktuellen Untersuchungen rund 80% der Kinder zu kurze Hausschuhe.

Professor Koletzko: „Beim Barfuß laufen erschließt sich dem Kind eine neue Welt, besonders im Sommer. Es erlebt zum ersten Mal, wie sich Sand, Gras, Kies, warmer oder nasser Boden anfühlt. Es lernt, mit seinem Fuß die unterschiedliche Beschaffenheit des Untergrunds zu ertasten. Das Laufen über Unebenheiten kräftigt die Muskulatur, festigt das Knochengerüst, trainiert die Gleichgewichtsempfindung und macht damit den Gang sicherer“.
Rund 98% aller Babys kommen mit gesunden Füßen zur Welt. Auch wenn das Kind anfängt zu laufen, sind seine Füße noch normal. Von diesem Augenblick an geht es allerdings oft rapide abwärts. Bis zum Erwachsenenalter haben sich bereits bei rund 60% der Menschen Fuß- und Haltungsschäden eingestellt. Das bedeutet: In mehr als der Hälfte aller Fälle werden die Füße im Kindesalter regelrecht verdorben.

Stützen und Einlagen häufig unnütz

Die Füße eines Babys sind winzig, zierlich und weich. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass sie eines Tages das Gewicht des Körpers tragen können. Aus diesem Grund glaubte man lange, der Entwicklung durch Stützmittel nachhelfen zu müssen. Es war die Zeit der Einlagen, der extra festen, hohen Schnürstiefel und der verlängerten Hinterkappen.

„Heute wissen wir, dass derartige Hilfsmittel einen gesunden Kinderfuß nicht fördern, sondern sogar behindern“, sagt Kinder- und Jugendarzt Professor Berthold Koletzko. „Kinderfüße brauchen Bewegungsfreiheit und eine Belastung, für die das Kind mit seinem natürlichen Bewegungsdrang schon selber sorgt. Kinderschuhe müssen deshalb weich und biegsam sein. Sie dürfen die Füße auf keinen Fall einengen. Nicht der Fuß soll sich dem Schuh anpassen, sondern der Schuh dem Fuß“.

Sind die Schuhe zu kurz und sind ihre Sohlen steif, können sie den Bewegungen des Fußes nicht folgen. Es kommt zur Senkung der Fußmitte und zur Schiefstellung der Großzehe. Es entstehen Vorfußschäden bereits im Kleinkindesalter, so die Stiftung Kindergesundheit. Passende Schuhe beugen solchen Schäden vor.

Auf Zuwachs kaufen – kein gesunder Trend

Frühere Untersuchungen der von den Kindern tatsächlich getragenen Schuhe kamen immer wieder zum Ergebnis, dass die Hälfte der Kinder hierzulande in zu kleinen Schuhen herumläuft. Umso überraschender fielen die Ergebnisse der Messungen für den jüngsten „Deutschen Kinderfuß-Report“ aus. Die Untersuchung der Füße und Schuhe von 10.773 Kindern im Alter zwischen 0 und 18 Jahren durch Mitarbeiter des Instituts für Sportmedizin und Prävention der Universität Potsdam ergab: Heute tragen viele Kinder nicht zu kleine, sondern zu große Schuhe! Über 40% der Kinder liefen in Schuhen herum, die teilweise um ein bis drei Nummern größer waren als die gemessene Fußgröße.
Für den Trendwechsel bieten sich laut Stiftung Kindergesundheit mehrere Erklärungen an. So könnte die jahrelange Diskussion über zu kleine Kinderschuhe endlich gefruchtet haben und viele Eltern achten darauf, dass ihre Kinder nicht in zu kleinen Schuhen herumlaufen. Eine weitere Rolle dürfte auch der oft hoher Preis guter Kinderschuhe gespielt haben: Während früher mehr Eltern versucht haben, ein Paar Kinderschuhe einzusparen, indem sie die Kinder eine Weile mit zu kleinen Schuhen herumlaufen ließen, versuchen viele Eltern heute eine Schuhgröße zu sparen, indem sie zu große Schuhe kaufen.

Der hohe Standard der in Deutschland angebotenen Kinderschuhe ist maßgeblich auf das 1974 eingeführte WMS-Maßsystem (Weit-Mittel-Schmal) zurückzuführen. Das System arbeitet mit Konstruktionsnormen für Kinderschuhe, die von Kinder- und Jugendärzten, Orthopäden sowie Schuh- und Leistenherstellern gemeinsam vereinbart wurden. Sie umfassen definierte Längen- und Weiten-Maße, aber auch Richtlinien bezüglich Form, Bauweise und Materialverwendung bei Kinderschuhen.

„Die Messung der Füße nach dem WMS-System ist allerdings nur dann wirklich sinnvoll, wenn anschließend tatsächlich auch WMS-genormte Kinderschuhe gekauft werden“, betont Professor Koletzko. Nicht-WMS-Schuhe weichen oft ein bis zwei Schuhnummern von der ausgezeichneten Größe ab, meist nach unten.
Wie findet man den richtigen Schuh?

Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt Eltern beim Schuhkauf die Beachtung folgender Punkte:

  • Schuhe müssen beim Kauf immer anprobiert werden. Die fachkundige Beratung funktioniert im Geschäft besser als bei Bestellung im Internet.
  • Die Länge muss stimmen. Durch Drücken auf die Schuhspitze („Daumenprobe“) lässt sich das nicht genau feststellen. Man bastelt deshalb für den Kauf am besten einen Fußabdruck: Kinderfuß auf Pappe nachzeichnen und beim Ausschneiden etwa zwölf Millimeter Länge zugeben. Passt diese Attrappe in den Schuh, hat er die richtige Länge.
  • Auch die Weite muss stimmen. In guten Schuhgeschäften lässt sich mit dem WMS-System messen, ob die Füße des Kindes breit, mittel oder schmal sind. Die dazu gehörigen Schuhe sind leider nicht immer vorrätig: Selbst große Schuhgeschäfte bieten heute für Kinder oft nur eine kleine Auswahl. Das passende Modell muss notfalls bestellt werden.
  • Das Kind sollte die Schuhe am Nachmittag probieren, wenn seine Füße durchs Laufen und Stehen etwas angeschwollen sind. Die Gefahr, zu kleine Schuhe zu erwischen, wird dadurch geringer.

Wie viel Paar Schuhe braucht ein Kind?

Da die Kinderfüße oft in Schüben wachsen, sollte man alle zwei bis drei Monate überprüfen, ob die Schuhe noch passen, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Im Alter von zwei bis vier Jahren wachsen Kinderfüße zwei bis drei Schuhlängen im Jahr. Bekommt ein Kleinkind nur einmal im Jahr neue Schuhe, trägt es die meiste Zeit zu kleine Schuhe.

Auf die Angaben des Kindes ist kein Verlass: Weil sie so weich sind, lassen sich Kinderfüße auch in Schuhe zwängen, die im Extremfall bis zu fünf Nummern zu klein sind, warnt die Stiftung Kindergesundheit. Dadurch werden die Zehen zu Fehlstellungen gezwungen, die Füße und Beine dauerhaft schädigen können.
Gegen die Weitergabe wenig getragener Kinderschuhe sei übrigens nichts einzuwenden, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit. Die „vererbten“ Schuhe müssen jedoch lang genug sein und sollten nicht verformt oder einseitig abgelaufen sein.

Auffällige Füße - harmlos oder Grund zur Sorge?

Die flache Fußform der Säuglinge hat mit einem Plattfuß nichts zu tun. Babyfüße haben zwar eine etwas flachere Wölbung, weil sich das Fußgewölbe erst mit dem Laufenlernen richtig entwickelt. Sie sehen jedoch vor allem deshalb so flach aus, weil ein dickes Fettpolster die Knochen verdeckt. Es schützt die Füße des Babys vor Auskühlung, aber auch vor Überbelastung. Ein echter Plattfuß - er wird auch als Schaukelfuß oder Tintenlöscherfuß bezeichnet - ist dagegen extrem selten.

Manche Kinder kommen mit einem oder zwei Sichelfüßen zur Welt. Dabei sind die Zehen nach innen gerichtet. Eine Behandlung ist meist unnötig, oder es reicht eine leichte Fußmassage zur „Redression“ aus: Dabei wird der Fuß-Außenrand täglich ein paar Mal sanft gestreichelt. Ebenfalls harmlos ist der Hackenfuß (dabei zeigt der Vorfuß steil nach oben). Er verschwindet fast immer von allein. Eine echte Fehlhaltung ist dagegen der Klumpfuß. Er kommt drei Mal unter tausend Babys vor, bei Jungen doppelt so häufig wie bei Mädchen, und er lässt sich manuell nicht korrigieren.

Der wichtigste erworbene Fußschaden ist der Spreizfuß. Er kommt mit zunehmendem Alter immer häufiger vor. Der Spreizfuß entsteht durch Einengung oder anhaltende Stauchung der Zehen in zu kleinen oder zu weiten Schuhen. Eine besondere Form dieses Fußfehlers sind die Schiefzehen, aber auch die Krallen- und Hammerzehen. Die Neigung dazu kann übrigens auch erblich sein: Spreizfuß und Schiefzehe kommen in bestimmten Familien häufiger vor als in anderen.

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(Giulia Roggenkamp, Pressestelle, Stiftung Kindergesundheit)
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