Kurzsichtigkeit entwickelt sich meist im Alter zwischen acht und zwölf Jahren und hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten weltweit zugenommen. In asiatischen Ländern wie Singapur und China liegt die Rate der Myopie, wie der Fachausdruck für Kurzsichtigkeit lautet, unter jungen Erwachsenen bei über 80%, in Europa knapp unter 50%. Vor allem zwei Faktoren fördern Kurzsichtigkeit: Tageslichtmangel und langes Nahsehen. „In Asien verbringen Kinder sehr viel Zeit in geschlossenen Räumen, um zu lernen. Dies ist der Hauptgrund für die stark verbreitete Myopie in Fernost“, sagt Professor Dr. med. Wolf Lagrèze, Leitender Arzt der Sektion Neuroophthalmologie, Kinderophthalmologie und Schielbehandlung an der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg.
Während des strengen Lockdowns in China mit Ausgangsbeschränkungen und lang andauernden Schulschließungen haben sich Tageslichtmangel und Nahsehen weiter intensiviert. In der Folge stieg die Kurzsichtigkeit gerade bei jüngeren Kindern an, wie eine chinesische Studie mit hoher Fallzahl belegt (1). „Der Unterschied bei den Brillenwerten zu den Vorjahren war zwar gering, aber statistisch signifikant“, erläutert Lagrèze.
Eine weitere Studie aus China zeigt unterdessen, dass die Myopierate nach dem Lockdown wieder rückläufig ist (2). „Dies ist ein Beweis, dass Lichtmenge und Sehgewohnheiten einen Einfluss auf die Myopisierung haben“, konstatiert der Freiburger DOG-Experte. Hinweise, dass man den Lockdowneffekt auf Deutschland übertragen kann, gibt es jedoch nicht. „Uns liegen leider keine vergleichbaren Daten vor“, erklärt Lagrèze. „Zudem war der Lockdown in China deutlich strenger als bei uns.“
Dass die intensive Nutzung von PC, Tablets oder Smartphones Kurzsichtigkeit fördert, erscheint unwahrscheinlich: Laut KIGGS-Studie hat die Myopierate unter deutschen Kindern in den zurückliegenden elf Jahren nicht zugenommen (3); auch der relative Anteil an Brillen, die wegen Kurzsichtigkeit verordnet werden, blieb in den vergangenen 16 Jahren unverändert (4). „Es gibt bislang keine kontrollierte Studie, die einen Einfluss von Smartphones, PCs oder Tablets auf die Kurzsichtigkeit belegt“, sagt Lagrèze. Erwiesen ist jedoch, dass Tageslicht vor Kurzsichtigkeit schützt. „Kinder sollten deshalb täglich zwei Stunden im Freien verbringen“, fügt der DOG-Experte hinzu. Studien belegten zudem einen negativen Einfluss der Nutzung digitaler Geräte auf die psychosoziale Entwicklung und Konzentrationsfähigkeit der Kinder. „Eltern sind in jedem Fall gut beraten, die digitale Bildschirmzeit ihrer Kinder zu begrenzen“, so Lagrèze.
Setzt die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit ein, sollte das Fortschreiten abgebremst werden – mit hochverdünnten Atropinaugentropfen, speziellen Brillen oder Kontaktlinsen. „Starke Kurzsichtigkeit ist neben dem Faktor Lebensalter der Hauptrisikofaktor für teils gravierende Augenerkrankungen wie Makuladegeneration, Netzhautablösung oder Glaukom“, betont DOG-Präsident Professor Dr. med. Hagen Thieme. „Wir erwarten daher mit Spannung die Ergebnisse einer Studie zur Therapie der Kurzsichtigkeit mit Atropintropfen, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert.“
(Kerstin Ullrich, Pressestelle, Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft)
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Quellen: <link https: idw-online.de de news775714 _blank external-link-new-window external link in new>idw-online.de, <link https: doi.org jamaophthalmol.2020.6239 _blank external-link-new-window external link in new>JAMA Ophthalmol. (1), Ophthalmology (2), <link https: doi.org arztebl.2020.0855 _blank external-link-new-window external link in new>Dtsch Arztebl Int (3), <link https: doi.org s00347-018-0698-9 _blank external-link-new-window external link in new>Ophthalmologe (4)
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