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Mit Kindern über das Sterben reden

Wahrscheinlich gibt es nichts Schwierigeres für Eltern, als einem Kind zu sagen, dass es sterben wird. Allenfalls ihm zu sagen, dass man selbst bald sterben muss. Krankheit und Tod sind für jede Familie eine Bedrohung: Nach einer Diagnose wie Krebs ist nichts mehr wie es vorher war, nicht für den Erkrankten - und auch nicht für alle anderen aus seiner Familie…

Die Vorstellung, dass schon Kinder schwer krank werden und sterben, steht im Widerspruch zum Idealbild, das viele Menschen vom Leben haben. „Eltern sind davon meistens aus heiterem Himmel getroffen“, so Dr. Gisela Janßen von der Uniklinik Düsseldorf. Aber auch Kinder können an Krebs erkranken. „Am häufigsten sind Leukämie und Hirntumore“, erklärt Frau Dr. Janßen, die die onkologische Kinderstation leitet.

Offenheit kann hilfreich sein
„Früher wurden auch die Eltern von den Ärzten über die genaue Diagnose oft im Unklaren gelassen“, sagt Walter Stamm, Leiter des Psychosozialen Dienstes im Klinikum Augsburg. „Heute ist man sich darüber einig, dass man offen darüber sprechen muss, zunächst nur mit den Eltern.“ Diese haben dann die Möglichkeit zu entscheiden, in welchem Rahmen das Kind von seiner Krankheit erfahren soll.

„Eltern würden am liebsten verheimlichen, dass es Krebs ist und versuchen oft, das Wort zu vermeiden“, weiß Ulla Steger, Psychoonkologin mit eigener Praxis in Düsseldorf. „Aber sie sollten das besser aussprechen, damit kein Tabu daraus wird. Für Kinder ist es wichtig, dass sie das Gefühl haben, alles fragen zu dürfen und über alles sprechen zu können.“

Jedes Kind verarbeite so eine Nachricht anders, berichtet Dr. Gisela Janßen. Viel hänge vom Alter ab: „Kleine Kinder haben weniger Angst vor dem Tod als vor Schmerzen oder vor der Trennung von den Eltern“, erläutert die Kinder- und Jugendärztin. „Jugendliche sehen ihre normale Welt zusammenbrechen.“

Kinder haben gute Überlebenschancen
Tumore wachsen bei Kindern und Jugendlichen oft schneller. „Die Chemotherapie ist eher intensiver als bei Erwachsenen“, erklärt Dr. Janßen.
„Die Nebenwirkungen sind ähnlich, teilweise aber auch stärker. Die Chancen der Kinder stehen aber auch besser, drei Viertel von ihnen überleben.“ Der Alltag ist in der Zeit der Behandlung von mindestens drei Monaten bis zu einem Jahr allerdings sehr eingeschränkt.

Wichtig sei, einem Kind in seiner Sprache verständlich zu machen, was man über die Krankheit weiß. „Man kann auch einem Kleinkind erklären, was Leukämie ist“, mahnt Dr. Janßen. „Zum Beispiel kann man sagen: Dein Blut ist rot wegen der roten Blutkörperchen. Es gibt aber auch noch weiße Zellen und Blutplättchen. Nun sind die weißen krank und vermehren sich so schnell, dass sie die roten kaputt machen, und deswegen müssen wir sie jetzt mit der Chemotherapie verjagen.“ Entscheidend dabei sei, auf der Ebene der Kinder zu bleiben - und ehrlich zu sein.

Wissen um die Krankheit kindgerecht vermitteln
Das Kind vor der Wahrheit schützen zu wollen, sei falsch, sagt Ulla Steger. Außerdem sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Kind auf anderen Wegen erfahre, dass es um Krebs geht - vielleicht auf dem Schulhof. Wenn es Eltern sehr schwer falle, darüber zu sprechen, sollten sie einen Arzt bitten, sie dabei zu unterstützen.

Gut sei, Kinder möglichst früh nach der Diagnose zu informieren, dass sie krank sind. „Wichtig ist, dem Kind Hoffnung zu machen, ihm zu sagen, dass sich die Ärzte Mühe geben, ihm zu helfen.“ Es gebe sehr gute pädagogische Materialien, die erklären, was ein Tumor ist oder wie eine Chemotherapie funktioniert, sagt Walter Stamm. „Unwissen dagegen ist eine Dauerbelastung und verunsichert die Kinder nur“, so der Diplom-Psychologe, der auf der Kinder-Krebsstation des Klinikums oft mit solchen Themen konfrontiert ist.

Das gilt nicht nur für die kleinen Patienten selbst: „Uns ist wichtig, auch die Geschwister zu informieren. Sie sollten mit auf die Station kommen. Ihre Eltern scheuen sich meistens, sie mitzunehmen, weil sie glauben, eine Krebsstation mache ihnen Angst“, sagt Walter Stamm. „Aber es macht mehr Angst, das nicht zu sehen und sich nur auszumalen, wie es ihrem Bruder oder ihrer Schwester dort geht.“ Geschwister könnten mit bedrohlich erscheinenden Informationen meistens gut umgehen. „Sie sollten aber nie mehr wissen als das erkrankte Kind - schon gar nicht, wenn es zu sterben droht.“

Das Sterben vor Geschwisterkindern verbergen zu wollen, hält der Diplom-Psychologe aber ebenfalls für den falschen Weg: „Wir haben es auch schon erlebt, dass Geschwister dabei waren, als ein Kind gestorben ist.“ Für Kinder ist es fast immer eine große Belastung, wenn Geschwister schwer erkranken. „Aber sie reißen sich fast immer sehr zusammen und versuchen, ganz unauffällig zu sein“, hat Walter Stamm beobachtet. „Psychologen nennen sie Schattenkinder.“ Sie versuchen, sich selbst in den Hintergrund zu stellen aus dem Gefühl heraus, die Fürsorge der Eltern gehöre ganz dem schwer kranken oder sterbenden Kind.

Mit Kindern über das Sterben zu reden, fällt allen Eltern schwer
„Aber wenn ein krankes Kind fragt, ob es sterben kann, dann kann es auch mit einem "Ja" als Antwort leben“, sagt Walter Stamm. „Wenn ein Elternteil schwer erkrankt und sterben könnte, ist das für Kinder meistens noch schwerer, als selbst davon bedroht zu sein“, sagt Stamm. „Für die Kinder heißt das, dass sie sich auf nichts verlassen können, wenn ein Elternteil stirbt. Das kann ihr Grundvertrauen völlig erschüttern.“

Umso wichtiger sei, dass Kinder nachvollziehen, was dort passiert. „Es kann auch in solchen Fällen hilfreich sein, wenn sie beim Sterbenden sind, vielleicht auch bei den Gesprächen über die Beerdigung oder bei der Sarggestaltung einbezogen werden.“

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