Magersucht bzw. Anorexia nervosa ist schwere Essstörung, die mit einem drastischenGewichtsverlust und einem verzerrten Selbstbild verbunden ist. In einer Studie haben die Medizinerinnen und Mediziner nun gezeigt, dass auch noch bei gewichts-rehabilitierten Patientinnen und Patienten dauerhafte strukturelle Gehirnveränderungen bestehen. Die Ergebnisse der Studie sind als wissenschaftlicher Beitrag in Psychological Medicine erschienen.
Das Besondere: Das Team hat auf der Basis von MRT-Daten mittels künstlicher Intelligenz Vorhersagen zum Krankheitsverlauf der Magersucht auf Basis dieser Hirnveränderungen machen können. „Dies eröffnet die Chance die Möglichkeiten der KI, um Therapieverläufe und -anwendungen individuell auf die jeweilige Patientin anzupassen“, sagt Zentrumsleiter Prof. Stefan Ehrlich. Dies unterstreicht nicht nur das Potenzial der Erkenntnisse aus den strukturellen Veränderungen des Gehirns, um eine maßgeschneiderte Nachsorge für Patientinnen und Patienten zu ermöglichen. Das Erkennen dieser anhaltenden Veränderungen könnte ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung wirksamerer Nachbehandlungsstrategien für Menschen sein, die mit AN zu kämpfen haben.
Die Magersucht – Anorexia nervosa (AN) – ist eine schwerwiegende Essstörung, die Betroffene meist langjährig beschäftigt und mit enormem Gewichtsverlust verbunden ist. Unbehandelt kann die Erkrankung zum Organausfall und auch zum Tod führen. Ebenfalls nachgewiesen ist ein Einfluss des Untergewichts auf das Gehirn. Medizinerinnen und Mediziner am Zentrum für Essstörungen und des Bereiches Psychosoziale Medizin des Uniklinikums Dresden haben nun in einer Studie den Einfluss auf die graue Substanz des Gehirns nachgewiesen und konnten zusätzlich die Veränderungen des Gehirns in unterschiedlichen Stadien der Erkrankungen und Therapie differenziert betrachten. In der Studie haben sich die Forschenden die Möglichkeiten des maschinellen Lernens – einer Anwendungsform der künstlichen Intelligenz - zunutze gemacht, um potenzielle dauerhafte Veränderungen in den Gehirnstrukturen von Menschen mit AN zu identifizieren. Durch den Vergleich von gesunden Personen mit AN-Patienten in verschiedenen Stadien ihrer Erkrankung sollten in der Studie zugrunde liegende strukturelle Unterschiede erkannt werden, die nach der Wiederherstellung des Gewichts bestehen bleiben könnten.
Mittels Künstlicher Intelligenz kann das Team zwischen gesunden Patientinnen und Patienten in verschiedenen Stadien der Anorexia nervosa unterscheiden, basierend auf Messungen und MRT-Untersuchungen der grauen Substanz im Gehirn. Diese Modelle ermöglichten eine signifikante Klassifizierung von Betroffenen sowohl im untergewichtigen Zustand als auch nach Gewichtszunahme am Ende einer stationären Behandlung. „Bemerkenswert ist, dass die Gehirnveränderungen bei Patientinnen und Patienten mit schlechteren folgenden Langzeitverlauf stärker ausgeprägt waren. Bei ehemaligen Betroffenen mit langfristiger Erholung konnten diese Veränderungen nicht festgestellt werden“, sagt Prof. Stefan Ehrlich, Leiter im Zentrum für Essstörungen. Die Veränderungen wurden in Regionen mit hoher funktioneller Vernetzung beobachtet und konnten nicht allein durch den BMI erklärt werden. Daraus schließen die Forschenden, dass es auch einen Zusammenhang zur individuellen Therapie, dem Therapieerfolg und der Nachsorge gibt. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Verständnis dieser anhaltenden multivariaten Gehirnstrukturveränderungen dazu beitragen könnte, personalisierte Interventionen für Patientinnen nach ihrer Entlassung zu entwickeln. Durch den Einsatz der KI haben wir die Chance therapeutischen Maßnahmen individuell anzupassen.“
Der Einsatz Künstlicher Intelligenz bei der Auswertung von MRT-Daten hat den Forschenden dabei neue Möglichkeiten bei der Arbeit eröffnet. Durch maschinelles Lernen konnten AN-Betroffene nicht nur von gesunden Kontrollpersonen unterschieden werden, wenn sie untergewichtig waren, sondern es wurden auch Unterschiede bei denjenigen festgestellt, die ihr Gewicht nur teilweise wiedererlangt hatten. Diese Hirnveränderungen waren besonders auffällig bei Patientinnen und Patienten, die nach einem Jahr rückfällig oder in einem schlechten Gesundheitszustand waren. Erfreulicherweise wiesen diejenigen, die ihr Gewicht langfristig erfolgreich und stabil wiederhergestellt hatten, diese Veränderungen nicht auf. In der Studie wurde auch festgestellt, dass bestimmte Hirnregionen, die für ihre komplexe Konnektivität bekannt sind, diese Unterschiede am deutlichsten zeigten.
„Erneut beweist die Hochschulmedizin Dresden damit, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen Medizin und Forschung ist. Die Erkenntnisse sind extrem wichtig, wenn es um individuelle Therapiepläne der Betroffenen geht. Das kommt unseren Patientinnen und Patienten zugute“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Uniklinikum Dresden.
Mittlerweile leiden 18 von 1.000 zwölf- bis 17-jährigen jungen Frauen an einer Essstörung. Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Betroffenen stark angestiegen. 2020 und im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es noch 13 von 1.000 Teenagerinnen, 2011 noch 11 von 1.000. Laut aktueller Hochrechnung in der Krankenkassenstudie dürften bundesweit mittlerweile etwa 50.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren betroffen sein. 79% davon sind Mädchen und junge Frauen. Das Dramatische: Die Dunkelziffer ist hoch, denn die Daten bilden nur ärztlich diagnostizierte Fälle ab. In den letzten Jahren wurden in Sachsen durchschnittlich über 700 jugendliche Patientinnen und Patienten pro Kalenderquartal mit einer Essstörung ambulant behandelt.
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(Annechristin Bonß, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden)
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Quellen: idw-online.de, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Psychological Medicine