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Neue Merkblätter zur Vermeidung von Kinderunfällen

Im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin wurden heute die neuen Merkblätter zur Vermeidung von Kinderunfällen vorgestellt - herausgegeben vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, den gesetzlichen Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Experten sind sich einig: Viele Unfälle sind durch einfache Sicherheitsvorkehrungen vermeidbar. Eltern können mit Hilfe der Merkblätter ihr Zuhause unfallsicherer machen...

Unfälle bei Kindern sind leider noch immer viel zu häufig der Grund für einen Krankenhausaufenthalt in Deutschland. Im Jahre 2010 mussten etwa 200.000 gesetzlich versicherte Kinder und Jugendliche aufgrund einer Unfallverletzung stationär im Krankenhaus behandelt werden. Darunter waren etwa 81.000 kleine Kinder im Alter bis sechs Jahren. Besonders häufig in dieser Altersgruppe sind Stürze, Verbrennungen und Vergiftungen. Allein 60 Prozent aller Verletzungen bei kleinen Kindern werden durch Stürze verursacht. Ein Großteil dieser Unfälle, die meist im häuslichen Umfeld geschehen, ließe sich durch Prävention vermeiden, tödliche Unfälle sogar bis zu 95 Prozent.

Um die Eltern umfassend über Unfallrisiken aufzuklären, geben die gesetzlichen Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte seit 1999 die „Merkblätter Kinderunfälle“ heraus. Die Merkblätter sollen den Eltern helfen, die Umgebung von Kindern sicherer zu gestalten und Unfälle zu vermeiden. Gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“ und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurden die Merkblätter nun umfassend überarbeitet und erweitert.

Insgesamt gibt es künftig acht Merkblätter Kinderunfälle. „Haben Sie alle Steckdosen drinnen und draußen mit Kindersicherungen versehen?“ „Ist Ihre Wohnung mit Rauchmeldern ausgestattet?“ Das erste Merkblatt enthält eine Checkliste, mit der Eltern überprüfen können, ob in Haus und Garten sowie beim Transport von Kindern an alles gedacht wurde. Die weiteren Merkblätter sollen die Eltern durch die ersten sechs Lebensjahre ihres Kindes begleiten und über die häufigsten Gefahren informieren. Dabei geht es um vorbeugende Maßnahmen im Babyalter (z. B. der Vermeidung des plötzlichen Kindstods) bis hin zur Prävention von Verkehrsunfällen und Gefahren bei Spiel und Sport im Kindes- und Jugendalter. Überreicht werden die Merkblätter von den Kinder- und Jugendärzten zu den jeweiligen Vorsorgeuntersuchungen (U1 bis U9).

„Oft reichen ganz einfache Maßnahmen, um die Kinder vor Unfällen zu schützen“, betont Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte. „So können Rauchmelder angebracht, Wasserkocher aus der Reichweite von Kindern gestellt, Arzneimittel sicher in verschließbaren Schränken aufbewahrt und Treppen gesichert werden.“ Die neuen Merkblätter werden ab sofort durch die Kassenärztlichen Vereinigungen an die 6.000 Kinder- und Jugendärzte in Deutschland verteilt. Dr. Paul Rheinberger, Leiter des Dezernats 1: „Innovation und Nutzenbewertung ärztlicher Leistungen, Prävention, ambulante Behandlung im Krankenhaus, Psychotherapie“ bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, ergänzt: „Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte haben eine besondere Verantwortung bei der Prävention der Unfälle. Die Merkblätter unterstützen die Ärzte bei der Beratung der Eltern.“

Und Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) für die Kassenverbände, fügt hinzu: „Jeder Kinderunfall, der in Deutschland passiert, ist einer zu viel. Die Merkblätter sind dabei nur ein Baustein. Wir würden es begrüßen, wenn die Vermeidung von Kinderunfällen im häuslichen Umfeld auch stärker in die Qualifikation der jeweiligen Berufsgruppen einfließen würde, die direkt mit Kindern zu tun haben. Neben den Hebammen und Kinderärzten sind dies auch die Beschäftigten in Krankenhäusern, Praxen und Kindergärten.“

Die Merkblätter Kinderunfälle sind auch im Internet abrufbar:

Quelle: Gemeinsame Presseerklärung des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V., der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), Berlin,
des AOK-Bundesverbandes, Berlin, des BKK Bundesverbandes, der Ikk e. V., der Knappschaft, Bochum und des Spitzenverbandes der landwirtschaftlichen Sozialversicherung

Statement von Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) anlässlich der Pressekonferenz am 29.02.2012 in Berlin

Persönliche Beratung ist der Schlüssel!

95 % der tödlichen Unfälle von Kindern lassen sich verhindern, wie internationale Studien belegen. Dabei kommt der persönlichen Beratung der Eltern durch die Kinder- und Jugendärzte nachweislich eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Mit der Verteilung der Unfallmerkblätter im Rahmen der Kinderfrüherkennungsuntersuchungen erreichen sie als einzige flächendeckende Maßnahme nahezu alle Kinder eines Jahrgangs mehrfach und können so mit deren Eltern verschiedene Unfallschwerpunkte besprechen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Gefahren in den Unfallmerkblättern alterstypisch thematisiert werden. Es macht wenig Sinn, junge Eltern von Säuglingen, die im Alltag zeitlich ohnehin schon unter großem Druck stehen mit umfangreichen Broschüren zu beglücken, die sie jetzt schon über die Gefahren des Mofafahrens (Radfahrens auf dem Schulweg) aufklären wollen und die Sie deshalb gar nicht erst zu Ende lesen.

Diese Unfallmerkblätter zeigen bildlich die typischer Gefahrensituation und informieren im Text knapp aber verständlich die Eltern, wie Sie ihr Kind vor Unfällen schützen. Besonders wichtig und nachhaltig ist dabei die gezielte Ansprache durch die Kinder- und Jugendärzte im Rahmen der Untersuchung. Leider ist es bisher nicht gelungen, den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) dazu zu bewegen, die Beratung über Unfälle entsprechend den Empfehlungen des 104. Deutschen Ärztetages in die Richtlinien zur Durchführung der Früherkennungsuntersuchungen aufzunehmen. Der BVKJ bleibt aber zuversichtlich, dass dies in absehbarer Zukunft nachgeholt werden wird.

Im Vorschulalter sterben und verletzen sich im Haus und der Umgebung mehr Kinder als im Verkehrsbereich. Ein wichtiger Partner bei der Prävention von Unfällen dieser Altersgruppe ist uns die Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“ (BAG; www.kindersicherheit.de), in der eine Vielzahl von Verbänden und Institutionen zusammenarbeiten, die sich auf diesem Gebiet engagieren. Aufgaben der BAG sind der Informations- und Erfahrungsaustausch, die Kooperation, Abstimmung und Qualitätsverbesserung von unfallverhütenden Maßnahmen, die Fortbildung von Multiplikatoren, die Durchführung eines jährlich stattfindenden Kindersicherheitstages und eine ständig mögliche elternnahe Information und Beratung zur Unfallprävention.

Obwohl die Arbeitsgemeinschaft mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit entstand und eine vergleichbar wichtige Aufgabe bei der Verhütung von Kinderunfällen im Bereich Heim- und Freizeit in Deutschland wahrnimmt, wie der Verkehrssicherheitsrat bei den Verkehrsunfällen, hat es der Gesetzgeber bisher versäumt, die Organisation mit einer vergleichsweise verlässlichen dauerhaften Basisfinanzierung auszustatten. So ist die BAG zur Durchführung ihrer Projekte allein auf das Wohlwollen von Sponsoren angewiesen ist und war
z. B. wegen Planungsunsicherheit gezwungen, wertvolle Mitarbeiter freizusetzen.

Die Unfallstatistik ist eine Dokumentation von körperlichem und seelischem Leid der Betroffenen und der Familie. Unfälle bedeuten aber auch eine erhebliche Belastung der Volksgesundheit, des Gesundheitswesen und des Gesundheitsbudget, Unfallbedingte Verletzungen lassen sich zu 60 – 80% vermeiden. Die Ersparnis der Folgekosten würde die notwendigen Aufwendungen um ein Vielfaches überschreiten.

Der BVKJ fordert zum Wohle der Kinder in Deutschland die gesetzliche Gleichbehandlung der Unfallprävention im Bereich Heim, Freizeit und Verkehr, um diesen unhaltbaren Zustand endlich zu beenden.

Dr. Wolfram Hartmann, Präsident BVKJ