Viele Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer Infektion mit SARS-CoV-2 sind bekannt, darunter ein hoher Blutdruck, Diabetes, Adipositas oder Vorerkrankungen des Herzens. Doch der eindeutigste und auffälligste Risikofaktor für einen schweren Verlauf ist das Alter. Während der Pandemie starben weniger als 0,001% der infizierten Schulkinder an der Infektion. Mit dem Alter stieg die Sterblichkeitsrate fast exponentiell an und erreichte bei sehr betagten Menschen über 10%. Kinder und Jugendliche weisen weniger Symptome und eine kürzere Krankheitsdauer auf als Erwachsene und insbesondere ältere Menschen, obwohl sich die anfängliche Viruslast nicht wesentlich unterscheidet.
Ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Ursachen für diese bemerkenswerte Resistenz von Kindern gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung gelang Forschenden vom BIH (Berlin Institute of Health in der Charité) in Berlin und dem DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum) bereits 2022: Sie fanden heraus, dass die Epithelzellen der Nasenschleimhaut von gesunden Kindern dauerhaft in „erhöhter Alarmbereitschaft“ sind. Der molekulare Hintergrund: Die Sensorproteine, die das Virus an seinem RNA-Erbgut erkennen und eine Interferon-Antwort einleiten, sind in den Zellen der kindlichen Nasenschleimhaut deutlich stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen. Dadurch kann das Virus, sobald es in der Zelle ankommt, schnell erkannt und bekämpft werden.
Doch woran liegt es, dass Nasenschleimhaut der Kinder so viel besser auf die Abwehr von SARS-CoV-2 vorbereitet ist? Um diese Frage zu klären, untersuchte Marco Binder mit seinem Team am DKFZ gemeinsam mit den Berliner Kolleginnen/Kollegen die zelluläre Zusammensetzung der Schleimhaut in der Nasenhöhle gesunder Kinder noch eingehender auf der Ebene einzelner Zellen.
Das Hauptergebnis der DKFZ-Virologen: Im Vergleich zu Erwachsenen wird die Nasenschleimhaut der Kinder nicht nur von deutlich mehr Immunzellen besiedelt. Bereits bei gesunden, nicht-infizierten Kindern produzieren die einzelnen Immunzellen zudem mehr entzündungsfördernde Botenstoffe, sogenannte Zytokine. Über diese Botenstoffe kommuniziert das Immunsystem mit den Schleimhautzellen, und regt sie zur Produktion der Sensorproteine an.
„Wir konnten zeigen, dass die Anwesenheit niedriger Dosen dieser Zytokine die Epithelzellen der Atemwege in erhöhter Alarmbereitschaft hält. Die Schleimhautzellen wappnen sich dann, indem sie die Produktion der Virus-Sensorproteine hochfahren, und können so weitaus schneller auf die Infektion mit SARS-CoV-2 reagieren.“
Damit haben Kinder offenbar einen angeborenen starken Schutzmechanismus gegen Atemwegsinfekte, der wahrscheinlich auch bei der Abwehr anderer Viren greift. „Während der Pandemie war dieser Unterschied aber besonders deutlich, da das Immunsystem aller Menschen zum allerersten Mal mit diesem Coronavirus in Kontakt kam“, erklärt Marco Binder. „Bei anderen Infektionen wie Schnupfen oder Grippe haben Erwachsene durch wiederholten Kontakt mit den Viren schon ein Immungedächtnis aufgebaut, dass bei der Abwehr der Erreger hilft. Dadurch kommt die Wirksamkeit der besseren Virusabwehr der Kinder nicht mehr so deutlich zum Tragen“.
Und eine weitere Besonderheit erwähnt der DKFZ-Virologe: „SARS-CoV-2 vermehrt sich ausgesprochen schnell in unseren Zellen und hat zudem viele Tricks auf Lager, um die Sensoren des zellulären Virus-Alarmsystems auszuschalten. Daher ist der kindliche Schutzmechanismus bei diesem Erreger besonders wichtig. Bei anderen Atemwegsinfekten fällt der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen möglicherweise nicht so dramatisch aus.“ Dieser Frage möchte der Wissenschaftler*innen in zukünftigen Forschungsprojekten weiter nachgehen.
Marco Binder geht davon aus, dass es sich lohnen könnte, prophylaktische Strategien für SARS-CoV-2 und andere Atemwegsinfektionen zu erforschen. „Solche Ansätze könnten darauf abzielen, die zelluläre Zusammensetzung des Schleimhautgewebes von Kindern nachzuahmen, z. B. durch Inhalation von niedrig dosierten Zytokinpräparaten.“
___________________
(Dr. Sibylle Kohlstädt,Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Krebsforschungszentrum)
___________________
Quellen: idw-online.de, DKFZ, EMBO reports