Kinder- & Jugendärzte im Netz

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Stellungnahme des BVKJ zu den gesundheitspolitischen Plänen von Ulla Schmidt

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) befürchtet, dass wenn sich im Jahr 2006 nichts Wesentliches ändert, die hoch qualifizierte und in Europa einmalige ambulante haus- und fachärztliche Medizin in Deutschland zusammenbrechen wird. Der Sicherstellungsauftrag, den die Politik der Selbstverwaltung übertragen hat, ist bereits heute nicht mehr zu gewährleisten. Die Mehrklassenmedizin gibt es in Deutschland schon lange...

Hat man in der Koalitionsvereinbarung die Reform des Gesundheitswesens in Deutschland weitgehend ausgeklammert, so prescht nun die alte und neue Gesundheitsministerin mit Ideen hervor, die zeigen, dass die Politik den Ernst der Lage auch nicht annähernd erkannt hat.

Die Probleme der Krankenhäuser und der unzumutbaren Belastung der Krankenhausärzte sind inzwischen öffentlich bekannt und weitgehend verstanden worden. Die Probleme der ambulanten ärztlichen Versorgung und die für viele nicht mehr nachvollziehbare Finanzierung dieses Versorgungssektors, der die Hauptlast der Versorgung der Menschen in Deutschland trägt, werden immer wieder verdrängt oder in ihrer Bedeutung unterschätzt.

Ändert sich hier im Jahr 2006 nichts Wesentliches, wird die hoch qualifizierte und in Europa einmalige ambulante haus- und fachärztliche Medizin in Deutschland zusammenbrechen. Der Sicherstellungsauftrag, den die Politik der Selbstverwaltung übertragen hat, ist bereits heute nicht mehr zu gewährleisten. Die Mehrklassenmedizin gibt es in Deutschland schon lange.

Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sind frustriert und vielfach demotiviert. Die Rahmenbedingungen haben sich durch eine indiskutable Zunahme von Bürokratie und Gängelungen dermaßen verschlechtert, dass zahlreiche Ärzte ins Ausland abwandern oder sich andere Berufe suchen. Nicht nur in den neuen Bundesländern ist es bereits zu Versorgungsengpässen gekommen, auch in den alten Bundesländern wird eine flächendeckende ambulante Versorgung innerhalb der nächsten 5 Jahre schon nicht mehr zu gewährleisten sein.

Deshalb muss die neue Bundesregierung rasch und nachhaltig handeln
Wenn Frau Ministerin Ulla Schmidt meint, dass ärztliche Leistungen müssen bundesweit gleich und in Euro bezahlt werden sollen, so ist das ein richtiger Ansatz. Eine Bezahlung in Punkten mit floatenden Punktwerten, die teilweise weit unter der betriebswirtschaftlich berechneten und von den Krankenkassen mitgetragenen Punktwertgrenze von 5,11 Cent liegen, ist nicht mehr haltbar. Das Erkrankungsrisiko der Bevölkerung haben die Krankenkassen zu tragen, nicht die Vertragsärzte. Die von den Krankenkassen mit befreiender Wirkung an die Kassenärztlichen Vereinigungen gezahlten, von Bundesland zu Bundesland und Kasse zu Kasse unterschiedlich hohen Kopfpauschalen (nur für die Beitragszahler, nicht für alle mitversicherten Personen!) müssen abgeschafft werden. Die Kassen müssen für alle versicherten Personen bundesweit den gleichen Betrag zur Verteilung auszahlen oder zur korrekten Kostenerstattung übergehen. Dies wäre transparent und entspräche den Vergütungen für alle anderen Dienstleistungen.

Durch den von Hartz IV verursachten Statuswechsel von 60.000 betroffenen Menschen z.B. in Westfalen-Lippe, für die die Kassen keine Beiträge erhalten, die aber ärztlich versorgt werden müssen, gehen den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in Westfalen-Lippe z.B. jährlich rund 25 Millionen Euro Honorar verloren. Hochgerechnet auf die gesamte Bundesrepublik handelt es sich um einen Betrag von mehreren hundert Millionen Euro. Auch der Wechsel der Patienten von teureren Kassen zu preisgünstigeren Kassen entzieht allein dem ambulanten ärztlichen Versorgungsbereich in jedem Jahr Millionen Euro, da diese Kassen niedrigere Kopfpauschalen für die gleiche Leistung zahlen.

Im Gegensatz zu den niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten erhalten alle anderen Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen (Apotheker, Heilmittelerbringer, Krankenhäuser, Anbieter von Hilfsmitteln usw.) feste Euro-Beträge für ihre Leistungen, wenn auch teilweise mit von den Kassen erzwungenen Rabatten. Ein Arzneimittel kostet in Bayern das Gleiche wie in Mecklenburg-Vorpommern, der Arzt in Mecklenburg-Vorpommern erhält für die gleiche Leistung wie der Arzt in Bayern eine um ca. 30% niedrigere Vergütung, wobei auch diese Vergütung teilweise nicht kostendeckend ist.

Für Überschreitungen der überholten und nicht das tatsächliche Krankheitsgeschehen widerspiegelnde Budgetgrenzen für Arzneimittel und Heilmittel (z.B. Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie) werden die verordnenden Vertragsärztinnen und -ärzte in Regress genommen. Auch dies trifft keine andere Berufsgruppe im Gesundheitswesen.

Zudem subventionieren die Vertragsärzte seit Seehofers Zeiten die GKV jährlich mit Millionenbeträgen, da die für die ambulante Versorgung von den Kassen zur Verfügung gestellten Mittel den Bedarf der Patienten auch nicht annähernd decken. Jeder Vertragsarzt erbringt in jedem Quartal 20 bis 30% nicht vergüteter Leistungen.

Bundesweite und lang anhaltende Aktionen der Vertragsärzte stehen bevor, wenn die Politik das Gesundheitssystem nicht rasch und überzeugend reformiert. Die publikumswirksamen Äußerungen von Frau Schmidt zeigen leider nicht, dass sie ein zukunftsweisendes Konzept hat. Das Herunterbrechen der privatärztlichen Honorare auf das unsichere und nicht kostendeckende Niveau der gesetzlichen Krankenkassen löst zwar Kostenprobleme der Beihilfe für Beamte und entlastet so die öffentlichen Haushalte, entzieht aber dem ambulanten und stationären Versorgungsbereich Mittel, die derzeit dazu beitragen, das Gesundheitssystem noch am Leben zu erhalten. Ein solches System ist nur dann akzeptabel, wenn in allen Bereichen der Krankenversorgung und Gesundheitsvorsorge kostendeckende Honorare gezahlt werden und den Patienten erlaubt wird, sich für über die medizinische Grundversorgung hinausgehende Leistungen sowohl im ambulanten wie im stationären Versorgungsbereich freiwillig zusätzlich zu versichern.

Es ist Aufgabe der großen Koalition, eine nachhaltige Lösung für dieses Problem zu finden, denn wir alle wollen doch eine auf hohem Niveau stehende bestmögliche ambulante und stationäre Versorgung für alle Menschen, unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen und vom Alter. Die Koppelung von Krankenkassenbeiträgen an eine versicherungspflichtige Tätigkeit ist seit Jahren überholt, nur die Politik will davon immer noch nicht abrücken.