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Stellungnahme des BVKJ zu den Sprachstandserhebungen in NRW

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßt, dass die Landesregierung sich für eine besondere sprachliche Förderung der Kinder bereits zwei Jahre vor Schulbeginn engagiert. Jedoch ist die pädagogische Überprüfung und geplante Förderung eher nicht geeignet, die schwierige Unterscheidung zwischen einer krankhaften Sprachentwicklungsstörung und einer Sprachförderbedürftigkeit auf Grund einer fehlenden Sprachanregung oder eines Migrationhintergrundes zu gewährleisten...

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) begrüßt, dass die Landesregierung Nordrhein-Westfalen sich für eine besondere sprachliche Förderung der Kinder bereits zwei Jahre vor Schulbeginn engagiert. Jedoch ist die pädagogische Überprüfung und geplante Förderung eher nicht geeignet, die schwierige Unterscheidung zwischen einer krankhaften Sprachentwicklungsstörung und einer Sprachförderbedürftigkeit auf Grund einer fehlenden Sprachanregung oder eines Migrationhintergrundes zu gewährleisten.

Mit den derzeit in den Kindertagesstätten stattfindenden Sprachstandserhebungen der 4-Jährigen mit dem Spiel „Besuch im Zoo“ wird nach dem von Frau Prof. Fried entwickelten Verfahren von pädagogischer Seite geprüft, welche Kinder einer besonderen pädagogischen Förderung zugeführt werden sollen. Bei diesen Sprachstandserhebungen werden mit Sicherheit Kinder mit einem medizinischen bzw. therapeutischen Förderbedarf auf Grund einer Sprachentwicklungsstörung auffallen, bei denen sich der Kinder- und Jugendarzt um die Frage der Ursache zu kümmern und eine eventuell notwendige Therapie zu veranlassen hat.

Um zu vermeiden, dass alle als nicht unauffällig eingestuften Kinder (30% bis 50% des Jahrgangs) den Kinder- und Jugendärzten vorgestellt werden müssen, fordert Dr. med. Thomas Fischbach, Vorsitzender des BVKJ, LV Nordrhein: „Mitarbeiter/innen des öffentlichen Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes sollten bei auffälligen Kindern verpflichtend eingebunden werden und obligat für alle in der gleichen Verfahrenssequenz einen apparativen Hörtest anbieten. Im Weiteren ist die Sichtung aller in der Stufe II auffälligen Kinder durch den ÖGD erforderlich. Wie üblich kann vom ÖGD die Unterscheidung in Förder- und möglichen Therapiebedarf - zumindest in weiter abklärungsbedürftige Befunde – erfolgen“.

Dadurch würde gesichert, dass die besonders „sprachauffälligen“ 7-10% aller Kinder dem medizinisch-therapeutischen System zumindest zur Mitbegutachtung zugeführt werden.

Einige Hintergrundsinformationen zur dieser Forderung
Aus kinder- und jugendärztlicher Sicht ist eine Sprachförderung (anders als eine Sprachtherapie) an die Einbindung in eine gut deutsch sprechende Gruppe gebunden. Ein einmal wöchentlicher Input deutscher Sprache kann sonst nicht in den Alltag transferiert werden und wird ergebnislos bleiben. Entsprechende Rahmenbedingungen sind sowohl für Kinder ohne Kindergartenbesuch als auch für Kinder in Einrichtungen mit sehr hoher Migranten-Quote zu schaffen.

Positiv sieht der BVKJ, dass auch Kinder, die bisher keine Einrichtung besuchen in das Gesamtsystem eingebunden werden und von frühen Fördermaßnahmen erreicht werden.

Die notwendige Krankheitsfrüherkennungsuntersuchung U8 zwischen dem 43. und 48. Lebensmonat werden durch die Sprachstandsfeststellung im Kindergarten nicht ersetzt, sondern sollten dringend bei allen Kindern durchgeführt werden. Es ist darauf zu achten, dass die unterschiedliche Qualität der Angebote für die Eltern transparent bleibt.

Zum Inhalt der Sprachstandserhebung
Bei diesem Spiel werden die Kinder spielerisch zu sprachlichen Äußerungen veranlasst, die Konstruktion des Vorgehens entspricht dem wissenschaftlichen Standard der Kenntnisse zu den notwendigen Sprachvoraussetzungen (wie dem Sprachverständnis durch das Verstehen von Aufträgen, der Laut-Unterscheidungsfähigkeit durch das Nachsprechen von Kunstwörtern, der Morphologie und Syntax durch das Nachsprechen von Sätzen und der aktiven Sprachproduktion sowie der Artikulation). Die Grundausrichtung dieser Sprachstandsfeststellung entspricht in seiner Konstruktion anderen Sprachentwicklungstesten (wie z.B. dem SET-K 3-5, dem HSET und anderen), besonderer Wert wird auf die pädagogische Beobachtung und der Beachtung der kindlichen Entwicklungs- und Lernverläufe gelegt. Die Zuverlässigkeit des Verfahrens beruht auf einer internen Konsistenzschätzung und einer empirischen Prüfung des Testkonstrukt. Validität, Reliabilität und Ökonomie werden „prozessbegleitend“ bestimmt.

Die relativ „schweren“ Aufgaben werden durch eine sehr weit nach unten korrigierte Normierung stark relativiert. So müssen die Kinder z.B. von vier nachzusprechenden Sätzen mit 31 Wörtern lediglich 5 Wörter korrekt wiedergeben.

Im Gegensatz zu der theoretisch gut fundierten Vorgehensweise ist die aktuelle Situation mit nicht bzw. noch nicht weitergebildeten Erziehern und Lehrern eine paradoxe Situation. Von der Entwicklung eines fundierten und umfassenden Fördermaterials und dem Ziel, dieses fach- und sachgerecht in den Einrichtungen einsetzen zu können, ist man leider noch weit entfernt.

Bereits genutzte und etablierte Fördermaßnahmen in Kindertagesstätten (wie z.B. KonLab) lassen sich ebenso wie die noch zu entwickelnden Förderprogramme uneingeschränkt weiterhin nutzen.

Erste Erfahrungen mit der Stufe I der Sprachstandsfeststellung zeigen, dass das Spiel einen hohen Aufforderungscharakter für Kinder hat; die meisten nehmen gerne teil. Allerdings ist die Spieldauer von 40 Minuten zu lang. Nachlassende Konzentration und Ausdauer verfälschen die Aussage des Verfahrens.

Aufgrund der (gefürchteten) Weiterleitung des Testergebnisses an Schule und/oder Schulamt werden viele Kinder von den Eltern am Testtag unter Leistungsdruck gesetzt und so ist der Erstkontakt mit einer Lehrerin negativ belastet.

Unterschiede in der Kooperationsfähigkeit ergeben sich eindeutig in Abhängigkeit von der Dauer des Kindergartenbesuchs und beeinflussen das Ergebnis. Kinder, die erst kurz in der Einrichtung sind, haben mehr Mühe mit diesem Verfahren.

Es scheint völlig unnötig, Kinder, die sich bereits in laufender logopädischer Behandlung befinden, diesem Verfahren zu unterziehen.