Dauerndes Räuspern, Stirnrunzeln, unrhythmisches Blinzeln oder unkontrolliertes Schreien: Fast jeder hat schon mal einen Menschen mit einem solchen Tic erlebt. Meist handelt es sich um vorübergehende Störungen, manchmal jedoch werden sie chronisch und sind behandlungsbedürftig. Medikamente können die Symptome zwar lindern, und eine Verhaltenstherapie hilft, besser mit der Krankheit zu leben. Heilen lässt sich sie aber nicht - nur kontrollieren.
“Tics sind kurze Muskelzuckungen, die sich unrhythmisch wiederholen“, erklärt Prof. Veit Rößner von der Uniklinik Dresden. Tic-Störungen äußern sich durch Bewegungen oder Laute, die absolut ungeplant auftreten. Gegliedert wird die Krankheit in motorische und vokale Tics. Es gibt aber auch Betroffene, die unter kombinierten Tic-Störungen leiden, dem sogenannten Tourette-Syndrom. Die Assoziation des Tourette-Syndroms aber mit dem Rufen von obszönen Wörtern „trifft nur auf einen ganz kleinen Teil der Betroffenen zu“.
Die Patienten sind zum Großteil Kinder und Jugendliche. „Bis zu 20% der Kinder in der Grundschule haben vorübergehende Tics“, sagt Rößner, der die Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik leitet. Vorübergehende Tics betreffen maximal einen Zeitraum von einem Jahr. Wenn Tics das erste Mal auftreten, betreffen sie häufig das Gesicht - Blinzeln, Grimassen oder Räuspern können Symptome sein.
Nach der Grundschulzeit sinke die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen auf etwa 3 bis 4%. Patienten, die ihre Tics länger als ein Jahr haben, gelten als chronisch krank. Bei ihnen ist es häufig so, dass die Tics dann auch zu den Gliedmaßen wandern und komplexer werden. Die Zuckungen verlangsamen sich oft, betreffen aber meist mehrere Muskeln.
Manche Patienten entwickeln eine Vorahnung und spüren, wenn der Tic kommt. „Das ist ein Gefühl ähnlich dem, bevor man niest“, sagt Rößner. Vor allem erwachsene Betroffene merken eine Art innerer Anspannung, innerer Unruhe oder ein Kribbeln. Das lässt sich für ein Wahrnehmungstraining nutzen: Die Betroffenen lernen, den bevorstehenden Tic zu erkennen und willentlich zu unterdrücken.
Erkrankte leiden oft unter HänseleienBetroffene müssen häufig mit Hänseleien in der Schule oder Gelächter und Kopfschütteln auf der Straße leben. Diese Reaktionen erhöhen ihren Leidensdruck und lösen Angst vor manchen Situationen aus. Beispielsweise kann es einem Kind sehr peinlich sein, wenn es stillen Klassenzimmer ungewollt laute Geräusche von sich gibt oder unwillkürlich zuckt. „Tics können auch dadurch provoziert werden, dass sie von anderen nachgeäfft werden“, erläutert Grieger.Solche Situationen können sich negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken. In einer Verhaltenstherapie werden daher Strategien entwickelt, um sich in solchen Situationen selbstbewusst zu verhalten. Die ideale Einstellung eines Betroffenen sei: „Ich habe einen Tic, na und?“, weiß Wild. Die Bewegungen und Laute können nicht gesteuert werden, deswegen dürften die Patienten ihrer Umwelt diesen Anblick auch zumuten. Eltern könnten ihr Kind vor Unannehmlichkeiten bewahren, wenn sie dessen Lehrer so schnell wie möglich informieren. Dann wird das Verhalten des Kindes nicht als Fehlverhalten gedeutet.
Verbieten setzt Kind zusätzlich unter DruckLehrer und Eltern sollten nicht versuchen, einem Kind den Tic zu verbieten. Das kann zu zusätzlichem Stress führen. Und das Lob für „ticfreie Zeiten“ kann Tics genauso provozieren wie das Verbot. Ideal ist ganz normales Verhalten, als seien die Tics nichts Besonderes - die Betroffenen wünschen sich Akzeptanz und Toleranz. Sollte jemand sich das Lachen nicht verkneifen können, rät der Psychologe Jürgen Wild zur direkten Ansprache. Eine Entschuldigung wie „Es tut mir leid, ich musste lachen, weil Du so komisch aussahst“ sei dann angebracht.