Verhaltensauffällige Kinder senden nach Ansicht der Hamburger Ärztin und Therapeutin Inge Flehmig oft deutliche Signale an die Erwachsenen. "Die Kinder weinen. Sie sind aggressiv, verhaltensgestört und niemand sieht, dass das ein Signal ist: Kümmert euch um uns!" Gefordert seien in erster Linie die Eltern, aber auch Lehrer: "Kümmern heißt, die Signale der Kinder zu erkennen. Jedes von ihnen hat eine eigene Individualität. Die müssen wir sehen und fördern", sagte Flehmig im Rahmen des Hamburger Kongresses "Kindheit heute".
Wo früher Großeltern und Geschwister einsprangen, seien Mutter und Vater heute oft auf sich selbst gestellt. "Was wir brauchen, ist eine Gemeinschaft von Kindern und Eltern, sie müssen mit einander kommunizieren und keiner darf gezwungen werden, ständig zurück zu stecken", forderte die Medizinerin. "Es gibt keine Schuldigen, es liegt an unserer Gesellschaft und der Art, wie sie aufgebaut ist."
Neben den Eltern seien auch die Lehrer häufig überfordert. Lehrer seien schon jetzt auch Sozialpädagogen, Therapeuten und nicht selten Vaterersatz, meinte Flehmig. Das alles aber könnten sie neben der Vermittlung von Wissen unmöglich in der bisherigen Unterrichtsform und Klassenstärke leisten. "Wie soll einer bei 30 Kindern Kontakt aufnehmen und individualisieren?"
Wichtiger als eine zeitliche Ausdehnung der Kinderbetreuung beispielsweise in Ganztagsschulen sei vor allem eine bessere Qualität der Betreuung, betont Flehmig. Dabei könne Deutschland gerade von Nordeuropäischen Ländern lernen, die in der Bildungsstudie PISA besser abschnitten als heimische Schulen: "Finnland und Schweden sind uns da weit voraus. Sie haben kapiert, dass Leistung nicht mit Training, sondern mit Zuwendung zu tun hat."