Kinder- & Jugendärzte im Netz

Ihre Haus- und Fachärzte von der Geburt bis zum vollendeten 18. Lebensjahr

Herausgeber:

Vor allem Jungen entwickelten während der COVID-19-Pandemie häufiger Diabetes Typ 2

Ulmer Forschende aus der Epidemiologie und der Kinder- und Jugendmedizin zeigen in einer neuen Studie in „Diabetes Care“ einen Anstieg der Typ 2-Diabetes-Fälle bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland - besonders betroffen waren davon Jungen. Den Wissenschaftler*innen erscheint es naheliegend, dass Corona-Maßnahmen wie Schulschließungen und ein Verbot des Freizeitsports dabei möglicherweise eine wichtige Rolle gespielt haben.

© rkris - Fotolia.com

© rkris - Fotolia.com

Während der ersten beiden Jahre der COVID-19-Pandemie ist es zu einem Anstieg der Typ 2-Diabetes-Fälle bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland gekommen, der im zweiten Pandemiejahr sogar sehr deutlich war. Besonders betroffen waren Jungen. Dies zeigt eine Ulmer Studie, in der Daten einer der weltgrößten Patienten-Datenbanken für Diabetes ausgewertet wurden. Erschienen ist die Studie in der renommierten Fachzeitschrift „Diabetes Care“.
Untersucht haben die Forscher*innen des Instituts für Epidemiologie und medizinische Biometrie der Universität Ulm sowie der Sektion Pädiatrische Endokrinologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Ulm zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Düsseldorf, Heidelberg, Witten/Herdecke, Greifswald und Berlin die Angaben in der Ulmer DPV-Datenbank. Diese Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation, die am Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Universität Ulm gepflegt wird, ist eine der größten Diabetes-Patientendatenbanken der Welt. Aufgrund ihrer großen Abdeckung im Kindes- und Jugendalter erlaubt sie Analysen, die auf die ganze Bevölkerung rückschließen lassen.

„Wir konnten feststellen, dass das Auftreten von Diabetes mellitus Typ 2 bei Kindern und Jugendlichen 2021, also im zweiten Jahr der COVID-19-Pandemie, in Deutschland signifikant angestiegen ist und mehr als 40% oberhalb des Erwartungswertes lag“, verdeutlichte Erstautor PD Dr. Christian Denzer, Oberarzt der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Uniklinik Ulm. Und Dr. Nicole Prinz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Uni Ulm und Koordinatorin der Studie, fügte hinzu: „Bereits vor der Pandemie bestand der Trend zu steigenden Typ-2-Diabetes-Erkrankungen bei männlichen Jugendlichen. 2021 hat sich das Geschlechterverhältnis in Deutschland erstmals sogar umgekehrt und es erkrankten mehr Jungen als Mädchen.“

Die zugrundeliegenden Ursachen für dieses Phänomen sind noch unklar und sollten weiter erforscht werden. Neben klassischen Risikofaktoren wie Gewichtszunahme oder weniger körperlicher Aktivität, die durch Pandemiemaßnahmen noch verstärkt wurden, erscheinen auch direkte und indirekte Effekte einer SARS-CoV-2-Infektion denkbar. „Eine Möglichkeit ist, dass Diabetes als Komplikation einer akuten SARS-CoV-2-Infektion auftreten kann. Zudem zeigen neue Studiendaten, dass das Risiko für Diabetes auch in der postakuten Phase der Erkrankung bei erwachsenen und jungen Patient*innen erhöht sein könnte“, so PD Dr. Christian Denzer.

Letztlich überraschte es die Wissenschaftler*innen, wie unmittelbar deutlich die Zunahme gegenüber den Erwartungswerten auftrat: mit einer über 40% höheren Inzidenz im Kindes- und Jugendalter sowie einer 55% höheren Inzidenz bei Jungen. „Interessanterweise war das Ausmaß des Übergewichtes bei neudiagnostizierten Patienten nicht ausgeprägter als im präpandemischen Beobachtungszeitraum. Es liegt also nahe, dass insbesondere ein Mangel an körperlicher Aktivität und somit eine Verstärkung der Insulinresistenz eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Typ-2-Diabetes gespielt haben könnte“, erklärte Dr. Nicole Prinz. Weitere Beobachtungen (Häufigkeit der diabetischen Ketoazidose und des HbA1c-Wertes bei Manifestation) zeigten außerdem, dass sich die Dauer bis zur Diagnosestellung des Typ-2-Diabetes während der Pandemie wahrscheinlich nicht verlängert hat.

Als erstes Fazit ihrer Studie zu Typ-2-Diabetes im Kinder- und Jugendalter fordern die Autor*innen, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und die getroffenen Pandemie-Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche intensiv zu untersuchen und kritisch zu bewerten. „Nur so könnten neue Strategien entwickelt werden, die helfen, vergleichbare Herausforderungen für das Gesundheitssystem - wie eine erneute Pandemie - besser zu bewältigen“, lautet das Fazit der Wissenschaftler*innen.
_________
(Daniela Stang, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Universität Ulm)
_________
Quellen: idw-online.de, Universität Ulm, Diabetes Care