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Zappelphilipp-Syndrom wird häufig zu spät erkannt

Frühes Erkennen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist für die Entwicklung von Kindern sehr wichtig. Betroffene Kinder leiden häufig unter starken Konzentrations- und Lernschwierigkeiten. Eine gezielte Behandlung kann die ADHS-Symptome vermindern und ADHS-Kindern helfen, sich in Schule, Familie und Freizeit ihrem Alter entsprechend zu verhalten und zu entwickeln...

"Besteht bei einem Kind der Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), sollten Eltern sich von ihrem Kinder- und Jugendarzt beraten lassen", empfiehlt Dr. Klaus Skrodzki, Kinder- und Jugendarzt aus Forchheim und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte, die eng mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte zusammen arbeitet. "Wird die Erkrankung zu spät erkannt und behandelt, können die Verhaltensauffälligkeiten durch äußere Umwelteinflüsse verstärkt und damit für die jungen Patienten, aber auch ihre Familien, zu einer enormen Belastung werden." Anlässlich der 100. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin vom 9. -12. September in Berlin weist der Experte auf die Möglichkeiten einer frühen Diagnose und Therapie hin und fordert, die Probleme von ADHS-Kindern und ihren Familien ernst zu nehmen.

Mindestens 500.000 Kinder in Deutschland betroffen
In Deutschland leiden nach Schätzungen 3 bis 6% der Kinder und Jugendlichen an ADHS. Bei der Hälfte besteht die Störung bis ins Erwachsenenalter fort. Die allgemein als Zappelphilipp-Syndrom bekannte Hirnfunktionsstörung wird häufig vererbt. Ihre Ursache liegt in einer Störung der Signalübertragung in bestimmten Teilen des Gehirns. Wie stark die Symptome ausgeprägt sind, hängt auch davon ab, welche Faktoren aus der Umgebung auf das Kind einwirken. Die Diagnosestellung ist sehr komplex. Neben den Ergebnissen von Fragebögen und Tests spielt vor allem die persönliche Geschichte des Kindes eine entscheidende Rolle. Die Verhaltensauffälligkeiten treten in der Regel vor dem 7. Lebensjahr und in mehreren Lebensbereichen gleichzeitig auf.

Schlechte Schulleistungen und familiäre Konflikte sind häufige Probleme bei ADHS
Ein von ADHS betroffenes Kind zeigt meist starke Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, kann nicht eine Minute still sitzen ("Zappelphilipp"), ist impulsiv und leicht reizbar. "Wenn Steve nach Hause kam, wusste er nicht mal seine Hausaufgaben", berichtet Martina M., die Mutter eines ADHS-Kindes aus Rheinland-Pfalz. "Ich war wirklich verzweifelt. Seine Schulnoten waren katastrophal und er schlug sich nur mit den anderen aus seiner Klasse - da habe ich mich schon gefragt, was später aus dem Jungen mal werden soll?" Heute sei Steve in ärztlicher Behandlung, erzählt die 45-jährige Mutter erleichtert. "Ab und zu ist es schon noch schwierig mit ihm, aber insgesamt hat sich die Situation in der Schule und auch zu Hause deutlich verbessert." Denn neben den Schulproblemen leidet oft auch das Verhältnis zwischen dem Kind und seinem sozialen Umfeld, den Eltern und Geschwistern. "Von den Eltern, die mit ihren auffällig gewordenen Kindern zu mir in die Praxis kommen, sind die meisten vollkommen fertig", berichtet Dr. Skrodzki. "Wenn sich dann im Verlauf der Untersuchung herausstellt, dass ihr Kind unter ADHS leidet und dass die Störung behandelbar ist, scheint es, als ob ihnen eine schwere Last von den Schultern genommen wird."

Wie wichtig frühes Erkennen und eine gezielte Behandlung der Störung für die Entwicklung der jungen Patienten sind, belegen Untersuchungen in der Jugendhaftanstalt in Ottweiler/Saarland. Unter den untersuchten 170 männlichen Straffälligen im Alter von durchschnittlich 19,5 Jahren wiesen bis zu 45% Symptome einer ADHS auf. Das entspricht einem etwa 10-mal häufigeren Auftreten als in einer nicht straffälligen vergleichbaren Altersgruppe. Bei etwa 85% der Untersuchten bestanden auch Alkohol- und Drogenabhängigkeit - häufige Folgen einer unbehandelten ADHS in der Kombination mit oppositionellem Trotzverhalten.

Ganztagestherapie hilft den Kindern und erleichtert das familiäre Zusammenleben
Eine Therapie ist sehr individuell aufgebaut und richtet sich nach den jeweiligen Problemen des Kindes. "Für Steve hat die Behandlung unheimlich viel gebracht", erzählt seine Mutter. "In der Schule ist er besser geworden, und er kommt jetzt auch mit anderen Kindern viel besser klar." Für Dr. Skrodzki ist die frühzeitige Erkennung und Behandlung von ADHS-Kindern sehr wichtig. "Bei einer gesicherten Diagnose und einem erheblichen Leidensdruck des von ADHS betroffenen Kindes und seiner Familie sollte neben intensiver Beratung und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen auch die medikamentöse Behandlung in Erwägung gezogen werden", rät er. "Der am meisten verordnete Wirkstoff, Methylphenidat, greift an entscheidender Stelle ein, nämlich bei der Verbesserung der Signalübertragung im Gehirn." Dies führt zu einer Verminderung der ADHS-Symptome und kann den Betroffenen helfen, sich in Schule, Familie und Freizeit ihrem Alter entsprechend zu verhalten und zu entwickeln. Neben den Medikamenten, die nur wenige Stunden wirken und deshalb in der Regel mehrmals am Tag eingenommen werden müssen, gibt es auch Präparate mit Langzeitwirkung über den ganzen Tag. "Das hat Vorteile für Kinder, die eine notwendige zwischenzeitliche Medikamenteneinnahme vergessen oder das Medikament nicht nehmen, weil sie befürchten, von ihren Mitschülern dabei beobachtet zu werden", so Dr. Skrodzki.