Übergewicht (Fettsucht-Adipositas)
Auswirkungen
Eine Adipositas im Säuglings- oder Kindesalter kann vorübergehend sein. Doch nicht jeder „Babyspeck“ verwächst sich. Je älter das Kind wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Zustand im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Ausschlaggebend ist nicht nur - unabhängig vom Alter - das Ausmaß des Übergewichts (je übergewichtiger das Kind, desto wahrscheinlicher setzt sich die Adipositas im Erwachsenenalter fort), sondern auch die Vorbelastung durch adipöse Eltern.
Zwischen 70 und 90% der Kinder mit starkem Übergewicht im Kindergartenalter sind bis zum Alter von 14 Jahren weiterhin davon betroffen, unabhängig von Geschlecht, Rasse oder sozioökonomischem Hintergrund. Etwa 70-80% der Jugendlichen mit Übergewicht oder starkem Übergewicht bleiben auch als Erwachsene übergewichtig.
Veränderungen in der Entwicklung
Bei adipösen Kindern und Jugendlichen treten häufiger folgende Auffälligkeiten auf:
- Ein beschleunigtes Längenwachstum und frühere Skelettreife
- Ursache ist ein erhöhter Spiegel des sogenannten Insulin like growth factor (IGF), der vermehrt im Fettgewebe und in der Leber gebildet wird.
- Ein nicht rückgängig zu machendes Reißen des Bindegewebes, bedingt durch Überbelastung des Gewebes bei schneller oder starker Gewichtszunahme (so genannte Schwangerschaftsstreifen); tritt bei Jungen und Mädchen auf.
- Hormonelle Veränderungen:
- Schilddrüsenhormone
Übergewichtige bzw. adipöse Kinder und Jugendliche haben häufig leicht erhöhte TSH und Thyroxin-Werte (T3). TSH ist das Hormon, das die Bildung der Schilddrüsenhormone ankurbelt, während T3 zu den von der Schilddrüse gebildeten Hormonen gehört. In diesen Fällen liegt keine Schilddrüsenunterfunktion vor. Vielmehr regen Veränderungen im Blut durch Übergewicht und Adipositas die TSH-Ausschüttung und damit die Bildung der Schilddrüsenhormone an. - Insulinresistenz
Erhöhte Spiegel freier Fettsäuren tragen mit dazu bei, dass der Insulinspiegel im Blut ansteigt. Die vermehrte Freisetzung von Insulin geht zwar mit einem normalen Blutzuckerspiegel einher, verursacht aber einen Anstieg der Triglycerid-Werte und der freien Fettsäuren im Blut. Folge kann eine nichtalkoholische Fettleber sein.
Darüber hinaus wird die Hormonproduktion durch die erhöhten Insulinspiegel beeinflusst. So nimmt die Bildung von Testosteron bei Mädchen zu.
Langfristig kann eine Insulinresistenz eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) auslösen. - Erhöhte Testosteronwerte bei Mädchen: Die vermehrte Bildung der Androgene ist eine Folge der Insulinresistenz. Bei übergewichtigen Mädchen sind erhöhte Testosteronwerte für eine Vermännlichung (Virilisierung) verantwortlich. Diese kann zusammen mit anderen Veränderungen des Stoffwechsels die Ausbildung eines Polycystischen Ovalrialsyndroms (PCOS) und einer Infertilität (Unfruchtbarkeit) begünstigen.
- Niedrige Testosteronwerte bei Jungen
- Erhöhte Östrogenwerte bei Jungen und Mädchen:
Das Hormon Östrogen wird bei Übergewicht vermehrt durch die Fettzellen produziert. Bei Jungen kann es zu einer Vergrößerung der Brust kommen. Wird vermehrt Fettgewebe in der Brust eingelagert, spricht man von einer Pseudogynäkomastie. Nimmt auch das Brustdrüsengewebe zu, bezeichnet man dies als Gynäkomastie.
- Schilddrüsenhormone
- Früherer Beginn der Pubertät
Der Beginn der Pubertät erfordert ein bestimmtes Körpergewicht. Dieses erreichen übergewichtige Kinder und Jugendliche früher als Gleichaltrige. Bei Mädchen beginnen daher das Wachstum der Brust und der Schamhaare früher. Außerdem haben sie ihre erste Menstruation zu einem früheren Zeitpunkt. Auch bei Jungen wachsen die Schamhaare früher als bei ihren Altersgenossen, wenn sie übergewichtig sind. Ebenso nimmt das Volumen der Hoden früher zu - zudem kommen sie früher in den Stimmbruch.
- Hypertonie
Die bei Insulinresistenz erhöhten Insulinspiegel tragen zu einer verminderten Ausscheidung von Natrium bei. Dadurch wird auch weniger Wasser ausgeschieden. Zusammen mit anderen Mechanismen, die den gleichen Effekt haben, steigt der Blutdruck. Wird bei einem zehn Jahre alten Jungen dreimal hintereinander ein Wert von 120/80 mmHg gemessen, so ist dieser für Erwachsene normale Blutdruck zu hoch. Eine solche Hypertonie kann langfristig u.a. Nieren, Herz und Augen schädigen.
So begünstigen Hypertonie, Diabetes mellitus und erhöhte Blutfettwerte Ablagerungen an der Gefäßwand (Arteriosklerose), in deren Folge es vermehrt zu koronarer Herzkrankheit (KHK), Herzinfarkt oder Schlaganfall kommt. Durch diese Komplikationen ist die Lebenserwartung gegenüber Normalgewichtigen reduziert.
- Sehnen, Gelenke, Muskeln, der gesamte Stütz- und Bewegungsapparat wird überbeansprucht. Es kommt zu Rückenschmerzen, Lendenwirbelsäulensyndrom (LWS-Syndrom) und anderen orthopädischen Erkrankungen, die durch Gangstörungen noch verstärkt werden können. Häufig finden sich durch die mechanische Überbelastung krankhafte Veränderungen am Gelenkknorpel der Knie- und Hüftgelenke (Gon- und Coxarthrose). Zusätzlich ist das Risiko für das Auftreten einer schwerwiegenden Hüftkopferkrankung (Epiphysiolysis capitis femoris) erhöht. Es können sich Senk- und Spreizfüße, sowie X- oder O-Beine entwickeln. Unter Umständen erleiden die Betroffenen auch häufiger Knochenbrüche.
- Zwischen den Hautfalten der stark Übergewichtigen bilden sich leicht Entzündungen (nässende Ekzeme). Kinder mit starkem Übergewicht schnarchen oft und leiden häufiger an einer schlafbezogenen Atemstörung, dem Schlaf-Apnoe-Syndrom. Ferner ist das Risiko für Gallensteine (Cholelithiasis) und für einen Anstieg der Harnsäure im Blut (Hyperurikämie, Spätfolge Gicht) erhöht. Eine neuere Studie deutet darauf hin, dass übergewichtige Kinder ein erhöhtes Risiko haben, Asthma zu entwickeln.
Frühzeitige Schäden
Extremes Übergewicht hat also negative Folgen für fast alle Organsysteme. Das Fortbestehen der Adipositas im Erwachsenenalter hat weitreichende Folgen: So ist das Risiko für bestimmte Folgeerkrankungen gegenüber Normalgewichtigen deutlich erhöht.
Starkes Übergewicht hat aber auch eine soziale und seelische Komponente, insbesondere dann, wenn das Körpergewicht die Teilnahme an sportlichen oder anderen altersgemäßen Aktivitäten behindert. Die daraus entstehenden psychosozialen Probleme für betroffene Kinder und Jugendlichen, aber auch der Verlust an Lebensqualität machen es ratsam und notwendig, eine rechtzeitige Beratung und Behandlung einzuleiten.
Neben den gesundheitlichen Folgen der Adipositas müssen die Betroffenen auch mit der sozialen Ablehnung einer Gesellschaft „im Schlankheitswahn” leben. Kinder und Jugendliche haben oft keine Hemmungen, andere zu hänseln oder zu verspotten. Aber auch Eltern und Lehrer stehen Übergewicht häufig kritisch gegenüber und neigen zu Vorurteilen. Nicht selten werten sich übergewichtige Kinder auch selbst ab. Stress, Ängste und Depressionen sind mögliche Folgen. Die gedemütigten Kinder versuchen sich häufig mit Süßigkeiten und Chips zu trösten und geraten damit in einen Teufelskreis, den sie ohne verständnisvolle Hilfe nicht allein durchbrechen können.